Auch das Nicht-Gelingen gehörte für die Macher seit jeher zum Geschäft. 30 Jahre nach der Gründung deutet sich ein Generationswechsel an.
Von Lutz Bernhardt
Am Anfang war die Lücke: Die Sammlung Ludwig in der Neuen Galerie konnte das Unterhaltungsbedürfnis einer Gruppe von Aachenern wohl nicht weiter stillen. Sie vermissten seit der Schließung des legendären Kunstvereins Gegenverkehr im Jahr 1972 einen frischen Wind in der Kunstszene.
Im Jahr 1986 war die Zeit reif für das Aufmucken einer Handvoll Bürger und Künstler: Sie gründeten den Neuen Aachener Kunstverein. Befördert wurde der Gründungswille wohl von der Tatsache, dass unter Kunstfreunden noch die Empörung darüber nachhallte, dass jüngst zuvor eine Ausstellung indianischer Kunst in der Neuen Galerie von der Fastfood-Kette McDonalds gesponsert wurde.
Der Klenkes frohlockte: „Der neue Kunstverein bedeutet die Chance, dem Widersprüchlichen, Sperrigen, auch der von marktorientierten Qualitätsansprüchen befreiten Lust an Kunst Raum zu geben.“ Damals hat sicherlich niemand damit gerechnet, auf was für eine vitale Vereinsgeschichte die Akteure einmal zurückblicken werden.
Der NAK böte heute genug Stoff für eine intensive kulturwissenschaftliche Aufarbeitung. Verbunden mit durchaus kritischen Fragen: Ist der NAK ein elitärer Zirkel geworden? Warum hält sich in der Stadtöffentlichkeit die Wahrnehmung, dass hier ziemlich abgehobenes Zeug gezeigt wird? Warum tat sich bisher fast jede NAK-Direktorin und jetzt auch der aktuelle Chef Ben Kaufmann damit so schwer, mehr Jungvolk aus Studentenkreisen für zeitgenössische Kunst zu begeistern? Sollte die Stadt mehr Geld für den NAK bereitstellen – oder wäre das der Killer für das bisher so entscheidende Moment von Engagement und Risikobereitschaft?
Gespräche über den NAK mit früheren und aktuellen Mitgliedern und Akteuren landen überraschend oft beim Thema Geld. Einerseits, weil es aus Sicht der Programmmacher immer schon fehlte. Der Fortbestand des Vereins stand vor allem am Ende der ersten Dekade auf der Kippe. Andererseits, weil nicht zuletzt die Jahresauktionen des NAK das Kunstmarktdenken unter den Mitgliedern beförderte und damit auch die Faszination des Sammelns und des Spekulierens.
Zum fünften Geburtstag des Vereins räsonierte der Klenkes angesichts der Geldknappheit: „Ans Aufgeben mag keine(r) denken.“ Zum zehnten Geburtstag bescherten eine Steuernachzahlung und ein mageres Auktionsergebnis dem NAK ein 50.000 DM-Loch. Werner Dohmen, damals wie heute 1. Vorsitzender, sprach seinerzeit im Klenkes-Interview von einer chronischen Misere: „Über 50 Prozent unserer Energie investieren wir in die Frage: Wie kommen wir an Geld.“
Und heute, 20 Jahre später, gibt er freimütig zu: „Ich habe schon alle Arten von Geldsorgen mit dem NAK erlebt. Das war ein ständiger Begleiter.“ Anstatt hinzuschmeißen ging der Verein 1996 spontan mit einer Rettungsedition in die Offensive. In den Ferienwochen wurden 110 Originalgrafiken von Künstlern wie Joachim Bandau, Walter Dahn und Clemens Weiss gegen eine Spende von jeweils 100 DM abgegeben.
Zeitweise stemmte der Verein zwanzig Ausstellungen im Jahr. Dorett Pümpel, die erste Geschäftsführerin des NAK, erinnert sich noch gut daran, wie sie Türklinken putzte, um Anzeigen für die Jahresgaben-Hefte zu organisieren. Nächtelang bereitete sie mit vielen ehrenamtlichen Helfern die Benefizauktionen vor. Das Nicht-Gelingen gehörte in Sachen Ausstellungsprogramm ebenso zum Selbstverständnis wie das Setzen von Trends, sagt Dorett Pümpel heute: „Anzuecken war Teil des Geschäfts. Wenn keine Reibung passierte, hatten wir etwas falsch gemacht.“
Die Künstlerin Johanna Roderburg, ebenfalls seit den Anfangstagen dabei, amüsiert sich noch heute über die teils heftigen Reaktionen der Aachener bei manchen Ausstellungen: „Als wir Bruce Nauman ein Jahr nach der documenta ’92 in der Aula Carolina zeigten, da gab es Leute, die hielten das gar nicht aus. Die sind tatsächlich geflüchtet.“
Als im Jahr 1997 Susanne Titz die Leitung übernahm, ging damit eine weitere Professionalisierung einher. War der NAK in der breiteren öffentlichen Wahrnehmung bisher eher eine Art Bürgerinitiative, so öffnete Titz das Programm von Beginn an für Aktionen und Ausstellungen außerhalb des Vereins. Schon mit ihrer ersten Ausstellung über Kunst im öffentlichen Raum stieß Susanne Titz neue Themen an, die sich in der Stadtgesellschaft abspielten und Fragen nach modernen Lebensformen, Technologie, Architektur, Stadtplanung, Raumgestaltung und Demokratie berührten. Mit dem Projekt „Modell, Modell …“ zog sie mit einer Arbeitsgruppe im Mai 2000 zeitweise in einen Büro-Container an den RWTH Campus.
Hier wurde Kunst im Spannungsfeld mit wissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen von 20 Künstlern gezeigt, gemacht und diskutiert. Allerdings kam Titz später nicht umhin, auch hier eine erstaunliche Trägheit bei den Studenten und Hochschullehrern festzustellen: „Eine Diskussion innerhalb der Fakultät und vielleicht gerade bei Erstsemestern anzuregen, (…) all das entstand nicht.“
Seit 2001 befindet sich der Sitz des NAK in der Villa des ehemaligen Grünflächenamtes im Aachener Stadtpark. Seit dem ist viel Kunst auf- und abgehängt worden – der Verein hat sich zu einer festen Größe weit über die Aachener Kulturszene hinaus etabliert. Werner Dohmen kann aus dem Vollen schöpfen, wenn er stolz die Namen all derjenigen zum Klingen bringt, die in Aachen schon ausgestellt haben, bevor sie national oder sogar international durchgestartet sind. NAK-Direktor Ben Kaufmann freut sich darüber, dass seit seinem Amtsantritt vor drei Jahren die Zahl der Mitglieder auf über 500 gestiegen ist, so viele hatte der Verein noch nie. Und dennoch bezeichnet Kaufmann sich selbst als den größten Kritiker des NAK.
„In der zeitgenössischen Kunst gilt heute das Geschehen am Kunstmarkt als Parameter für Qualität. Aber das sollte uns als Kunstverein nicht so sehr interessieren. Ob wir die erste institutionelle Ausstellung eines Künstlers oder einer Künstlerin realisiert haben oder nicht, ob wir also Entdecker sind, ist in meinen Augen kein Gradmesser für eine substanzielle Arbeit“, sagt Kaufmann gegenüber dem Klenkes.
Wichtiger sei es, als Kunstverein stärker die Frage nach Relevanz zu stellen, den Diskurs zu suchen und den Blick dafür zu öffnen. Das Ringen um die Frage, was gute Kunst ist und wie man sie mit schmalen Budgets an den Bürger bringt, begleitet den Verein seit seiner Gründung. Nach 30 Jahren treffen innerhalb des NAK nun verschiedene Generationen aufeinander, die durchaus unterschiedliche Standpunkte dazu vertreten. Spannend wird sein, wie sich der Verein damit auseinandersetzt, welches Selbstverständnis er entwickelt und wie sich das im zukünftigen Ausstellungsprogramm ausdrücken wird. \
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