Sie starten im umgerüsteten Defender eine Tour durch Amerika: die Panamericana, ein System von Straßen, das – mit einigen Lücken irgendwo zwischen Panama und Kolumbien – Alaska mit dem Feuerland, der absoluten Südspitze Süd-Amerikas, verbindet. Im September sagen sie „Bye Bye Aachen“. Zumindest für eine gewisse Zeit.
Die beiden Mitdreißiger Tobias und seine Freundin Michaela hätten vor rund zwei Jahren selbst nicht gedacht, dass sie das Reisefieber in dieser Form packt. Urlaub machten sie zwar gerne, aber wenig. Schließlich gründete er vor 18 Jahren seine eigene IT-Firma, was so gut wie keine Zeit für Urlaub zuließ. Sie studierte Jura, arbeitete als Vorstandsassistentin und war zwar immer schon reisebegeistert, aber eher so „Pauschalurlauberin für eine oder zwei Wochen“.
Außerdem hatte man sich zusammen ein Haus gekauft, die Firma immer weiter ausgebaut. Doch dann kam Anfang 2015 ein gemeinsamer Besuch in Berlin. Und da stand er auf der Straße: ein Landrover Defender. Ein Modell wie es bald nicht mehr gebaut werden sollte. Vollgespickt mit Aufklebern weitentfernter Reiseziele. Und einer sagte zum anderem: „Im Overlander eine Reise machen, nur mit einer Matratze. Das wäre es doch, oder?“
Mittlerweile sind die Jobs gekündigt, Hab und Gut verkauft und die letzten Taschen gepackt. Tobias muss bei dem Gedanken schmunzeln: „Ganz ehrlich. Ich und Camping, das war bisher unvorstellbar. Ich bin bis vor kurzem sogar im Anzug zum Bäcker gegangen.“ Aber wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Und so kauften sie sich selber einen Landrover Defender und beschlossen erst mal, von Slowenien nach Polen zu fahren. Einfach mal testen, wie sich ein „Camping-Urlaub“ anfühlt. Von da an waren sie buchstäblich angefixt. „Wir haben Reiseblogs nicht nur gelesen, sondern aufgesogen.“
Der Defender wurde umgebaut, erweitert und für die Reise umgerüstet. Weltkarten wurden studiert und Traumziele schwirrten durch den Raum. Vielleicht mal zum Nordkap? Oder wie wäre die Seidenstraße? Oder doch eine Tour durch Amerika? Der Traum wurde immer präziser. Die Reisedauer länger. Und dabei geht es den beiden nicht um Mut oder Wagnis, sondern darum, einfach mal frei zu sein.
Der Schritt ist für sie kein Abbruch mit dem Altbekannten, sondern eine neue Etappe. „Als ich das Haus zum Makler gab, das war für mich der Punkt, an dem es losging. Seitdem gibt es keinen Schwermut sondern nur Vorfreude. Schwer fiel es mir noch, meine Firma aufzugeben – doch irgendwie fügte sich dann alles zusammen“, erinnert sich Tobias. Die Panamericana macht man eben nicht in drei Monaten. Dafür braucht man ein Jahr, vielleicht auch eher 18 Monate. Zeitlich genau begrenzen können und wollen sie ihren Tripp nicht. Ein paar Eckdaten sind klar. Mehr aber auch nicht.
Grizzlies sehen in Vancouver
Tja und nun geht’s los. Im September legt ihr Schiff ab. Und mit an Bord ist ihr Auto, ein spärliches Gepäck und jede Menge Wissen, das sie sich in der Vorbereitungszeit angeeignet haben. Denn so einfach es auch klingt, sich einen Reisetraum zu erfüllen, unüberlegt handeln die beiden nicht. Alleine die Fahrt von Hamburg nach Montevideo wäre für die meisten Menschen schon genug Abenteuer.
30 Tage – zumindest in Etwa – leben die beiden dann mit zehn weiteren Menschen an Bord des Frachtschiffes; plus ein bisschen Besatzung. Ohne Handynetz, Internet und Telefon. Ihr neuer Luxus ist, selber entscheiden zu können, wann es wo hin geht. Ob sie beim Aufwachen Berge, Meer oder Wüste sehen. Ob sie 100 Kilometer fahren wollen oder einfach noch drei Tage an einem Ort bleiben.
Und so wie die beiden reden, glaubt man ihnen. Wer braucht ein großes Haus, wenn er mal die Chance hat einem waschechten Grizzly in Kanada gegenüber zu stehen, die unendliche Stille einer Wüste zu hören oder gegrillte Meerschweinchen in Peru zu essen. Im Juni hatten die beiden bereits 90 Prozent ihres Besitzes verkauft. Was persönlichen Wert besitzt, haben sie eingelagert. Und gewohnt wurde seitdem bei Freunden im Wohnzimmer. Oder eben im Auto, wenn sie eine für die Reise wichtige Vortouren machten, Reisemessen oder Overlander-Treffen besuchten. Für beide gilt: „Wenn wir das machen, dann aber richtig!“
Floskeln, Wahrheit und Community
In dem etwas über ein Jahr andauernden Reisevorbereitungen tauschte Tobias Anzug gegen Auto-Tüftlermontouren („Man weiß ja nie, wo einem der Keilriemen reißen kann“) Michaela beschäftigte sich mit Spiritusbrennern statt herkömmlichen Haushaltsgeräten und las Reiseführer und Weltenbummer-Bücher. Das Fazit: „Man kann nicht alles planen!“, „Der Weg ist das Ziel“ und: „Man kann sich schlau machen, aber nicht vorbereiten.“
Klingt nach Floskeln, ist aber ernst gemeint. Die beiden gehen zwar mit jeder Menge Optimismus und Spaß an ihre Tour, aber auch mit dem nötigen Ernst. „Wir sind einmal durchgeimpft und auch sonst medizinisch gut vorbereitet.“ Selbst wenn die Staufläche im Wagen gering ist, werden sie sich nicht auf die medizinische Notversorgung in manchen Ländern verlassen und haben neben einer umfassenden Hausapotheke auch Spritzen und Kanülen dabei. „Und wir haben uns natürlich schlau gemacht, welche Communitys es im Netz gibt, die solche Reisen machen oder begleiten. Dort wird gepostet, wo es gerade sicher oder unsicher ist, wo man übernachten kann, wo sich Überfälle häufen.“ Erfahrungsaustausch für Abenteurer. Auch rechtlich gehen die beiden kein Risiko ein, sind ausreichend versichert, kennen sich mit den Ein- und Ausfuhrbedingungen ihres Fahrzeugs in den unterschiedlichen Ländern aus, haben Zulassungsbescheinigungen, von denen die wenigsten Menschen jemals gehört haben und gehen auch sonst kein vermeidbares Risiko ein.
„Der Diesel in Südamerika ist oft sehr sehr schlecht. Wir werden also neben unserem normalen Tank (75 Liter) und dem Zusatztank (47 Liter) noch zwei weitere 20-Liter-Kanister mitnehmen. So müssen wir nicht dort tanken, wo es dem Auto maximal schadet.“ Und so vermeiden sie auch noch, in der wortwörtlichen Pampa stecken zu bleiben. Dort könnte es nämlich durchaus vorkommen, dass sie Tage lang kein einziges anderes Auto sehen. „Du siehst, wir sind zumindest in der Theorie keine blutigen Anfänger mehr“, erläutert Tobias mit ein wenig Stolz, aber vor allem Zuversicht in der Stimme.
Die meisten wichtigen Infos haben die beiden von Messen mitgebracht. Dort gibt es nicht nur Wissenswertes rund um Overland-Reisen, Expeditionsbedarf und Abenteurer-Apps, sondern vor allem Menschen, die schon einige Reisen gemacht haben. „In dem einen Jahr haben wir so viele hilfsbereite Menschen kennengelernt, die uns Tipps gegeben und auch ihre Hilfe angeboten haben.“ Auf ihrer Reise könnte es durchaus sein, dass sie den ein oder anderen Abenteurer treffen. Feste Abmachungen gibt es aber nicht. Denn was haben uns Tobias und Michaela bereits beigebracht? Richtig: „Man kann nicht alles planen.“ \ kw
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