Von Peter Hoch
Episodenfilme, deren Handlungsstränge sich gelegentlich überschneiden, sind ein riskantes Unterfangen. Viele verlieren sich in eindrucksfreien, leicht verdaulichen Erzählhäppchen. Nur die wenigsten sind vielschichtige Wundertüten, die einer ganzen Zuschauergeneration meist tragikomisch den Spiegel vorhalten. Regisseur Lars Montag, der bisher nur für TV und Theater tätig war, glückt gleich mit seinem Kinoeinstand das Unglaubliche: seine rabenschwarze, genial giftige Satire darf man getrost zur zweiten Gruppe zählen.
Als Vorlage diente ihm der gleichnamige Roman von „Der große Bagarozy“-Autor Helmut Krausser, dessen etwa dreißig Charaktere er gemeinsam mit Krausser höchstselbst als Co-Drehbuchautor auf rund ein Dutzend zurechtstutzte, mit deren Hilfe er eine gleichermaßen desillusionierende wie extrem unterhaltsame Bestandsaufnahme des Mit- und vor allem Nebeneinanders in Deutschland vornimmt.
Da wäre der Supermarktleiter Uwe, der sich tagsüber mit dem cholerischen Kunden Ecki herumplagt und abends die überkandidelte Janine datet. Oder Uwes Noch-Frau Julia, die sich den Callboy Vincent gönnt, der ganz spezielle Jobvereinbarungen mit seiner Freundin Vivian getroffen hat. Der rassistische Polizist Thomas will seine Kollegin Carla beeindrucken und schlägt kurzerhand Teenager Mahmud k. o. – was dazu führt, dass der in der Notaufnahme der pubertierenden Swentja bezahlten Cunnilingus anbietet, während gleichzeitig ihr religiös (v)erzogener Mitschüler Jonathan unsterblich in sie verliebt ist. Swentjas Öko-Eltern schließlich führen nur noch eine Zweckehe und insbesondere ihr Vater Robert will seinen Horizont erweitern, was ihn wiederum zu Künstlerin Janine und Ex-Lehrer Ecki führt.
Mit viel Geschick bringen Montag und Krausser ihre fast ausschließlich um sich selbst kreisenden Figuren in Position, um den Zuschauer ein ums andere Mal mit unerwarteten Pointen, Entwicklungen, und Erkenntnissen zu überraschen, die trotz mancher Wahnwitzigkeit an Begebenheiten mit realen Mitmenschen erinnern oder sogar an die eigene Nase fassen lassen.
Obwohl es dabei verbal bisweilen äußerst freizügig zugeht, verkommt keiner der Protagonisten zur billigen Lachnummer. Was genau Bernhard Schütz, Katja Bürkle, Rainer Bock, Eva Löbau und der Rest der talentierten Besetzung in ihren Rollen miteinander verbindet oder trennt, ist oft schreiend komisch, zuletzt auch hochdramatisch – und ja: ungewohnt großes, mutiges und bitterböses Kino made in Germany.
„Einsamkeit und Sex und Mitleid“
D 2016 // R: Lars Montag
Start: 4.5. | 119 Minuten
Bewertung der redaktion
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