Von Christina Rinkens
Die Visionärinnen des Hotel Total, das sind Designerin Patricia Yasmine Graf, Modedesignerin Anke Didier und Kommunikationswissenschaftlerin und Eventmanagerin Julia Claire Graf. Sie sitzen gerade an der langen Tafel, die sich einmal längs durch den Kirchenraum zieht. Der Kaffee steht bereit, im Hintergrund besinnliche Musik. Drei Monate Hotel Total, drei Monate Hotel- und Cafébetrieb, zahlreiche Kulturveranstaltungen an jedem Wochenende und insgesamt vierzehn Monate Projektarbeit. Wie ist die Stimmung? „Top. Wir sind nur ein bisschen müde, wir haben das Ganze noch nicht realisiert und können kaum glauben, dass die Projektphase Ende Oktober vorbei ist“, meint Patricia Yasmine Graf „aber wir sind durch und durch zufrieden.“
Mit wem man auch spricht in Aachen, jeder scheint restlos begeistert zu sein vom Hotel Total. Selbst skeptische Stimmen sind verklungen. „So gute Resonanz haben wir uns natürlich gewünscht, aber so viel Positives hat uns überrascht“, sagt Anke Didier. Vor über einem Jahr haben die Drei die Idee für das kreative und soziale Vernetzungs- und Umnutzungsprojekt entwickelt. Gemeinsam mit Flüchtlingen und zahlreichen Bündnispartnern wurde innerhalb eines Jahres das Pop-Up Hotel geplant und umgesetzt. Unterstützt durch einen Zuwendungsbescheid des Leitmarkenwettbewerbs „CreateMedia.NRW“. Die dreimonatige Öffnungsphase war nur der Abschluss, das „Türen öffnen“, des Projekts.
Heimeliger Publikumsmagnet
„Wir haben uns einfach unseren Traum gebaut. Das, was uns in Aachen immer gefehlt hat“, so Julia Claire Graf. Und dabei hatten vorher viele Bedenken geäußert, dass ein solches Projekt in Aachen schwer umsetzbar sei. Die Aachener würden sich schwer tun, das Ganze anzunehmen, hieß es. Von wegen. „Bei jeder unserer Veranstaltungen war immer wieder ein komplett anderes Publikum“, sagt Patricia Yasmine Graf. Kein Wunder, gab es doch in den letzten Monaten für jeden Geschmack etwas: ob Kunstaustellung, Innovation Talk mit dem Oberbürgermeister, Modenschau oder Tanzworkshop. Oder einfach die geöffnete Tür und der Cafébetrieb.
Die endlich wieder geöffneten Türen der Kirche nutzen auch die ehemaligen Kirchgänger, die oft ihre ganz eigenen Geschichten aus der Kirche mitbringen. „Ein älterer Herr hat uns gestern noch Fotos von seiner Kommunion hier in St. Elisabeth vorbeigebracht. Die haben wir jetzt eingerahmt und sie bekommen einen Ehrenplatz, er hat sich wahnsinnig gefreut“, erzählt Julia Claire Graf. Viele der Besucher sind auch ganz erstaunt, welche Heimeligkeit die Kirche ausstrahlt. Jemand hat ins Gästebuch geschrieben: „Never felt closer to God“.
Besonders wohl gefühlt haben sich auch die knapp 300 Übernachtungsgäste, die in den frei im Raum platzierten Zimmerkuben übernachtet haben. Weil sie sich vor Anfragen nicht retten konnten, wurden die Schlafplätze nur verlost. „Manche haben uns sogar Geld angeboten, weil sie so gerne in der Kirche nächtigen wollten“, meint Anke Didier. Manche der Kirchenschläfer seien sogar zu aufgeregt gewesen, um überhaupt einzuschlafen. Aber einmal in den Tiefschlaf gefallen, hätten sie alle von erstaunlich guten Nächten geschwärmt. „Das mag wohl an unseren guten Matratzen liegen“, schmunzelt Patricia Yasmine Graf.
Zukunftsmusik
Wie geht es jetzt weiter? „Das Wichtigste ist gerade, für die Zukunft unserer Mitarbeiter Wege zu bereiten“, da sind sich die Drei einig. Verbundpartner Low-Tec bemüht sich, sie in Programme zu vermitteln. „Wir haben einfach gesehen, dass es den geflüchteten Menschen, die bei uns arbeiten, so viel mehr bringt, eine Aufgabe zu haben“, erzählt Julia Claire Graf. Bestes Beispiel: Abolfazl aus dem Iran, der gerade einen Obstteller vorbeibringt. „Unser Superman für Alles, der sich sogar über freie Tage beschwert.“ In freien Momenten hat er nebenbei noch aus alten Lederresten eine Taschenkollektion entworfen.
Wenn sich die Türen der Kirche am 30. Oktober erstmal wieder schließen, ist das Projekt noch nicht vorbei. Erst Ende November geben sie die Schlüssel an Norbert Hermanns ab; mit dem Vorstand der Landmarken AG befinden sie sich in engen Gesprächen über die Zukunft. Dass die Idee eines Hotels in der Kirche mit nur fünf Zimmern auf Dauer nicht realisierbar ist, dessen sind sich alle bewusst. „Wir müssen erstmal ein bisschen Abstand gewinnen, um dann mit neuer Kraft wieder starten zu können“, so Graf.
An Motivation mangelt es nicht, nach wie vor sind die Drei an Herausforderungen im sozio-kulturellen Raum interessiert, wollen Neues denken. „Wir möchten allerdings nichts übers Knie brechen, unsere Zukunftspläne müssen Hand und Fuß haben“, sagt Anke Didier. Wie soll unser Aachen werden? Dieser Frage wollen sie auch künftig nachgehen.
Jetzt liegt ihnen vor allem daran, Danke zu sagen für die letzten Monate. Für den Support von so vielen Seiten. „Nur gemeinsam schafft man solche Sachen, wir sind einfach dankbar“, meint Patricia Yasmine Graf. Egal ob der Server unter der Maillast zusammenbrach, der Strom nicht mehr reichte oder Hilfe beim Kerzenaushöhlen nötig war. Im Laufe der vergangenen Monate haben sie so viel Unterstützung von den Verbundpartnern, von der Stadt, von Oberbürgermeister Marcel Philipp, der ihnen Wege bereitete und den Rücken freihielt, von Freunden und neuen Freunden erhalten – „wir sind völlig überwältigt und geflasht“.
Am letzten Öffnungstag des Hotel Total, dem 30. Oktober, werden deshalb unter dem Motto „Total Love“ alle herzlich eingeladen, noch einmal in der Kirche zusammenzukommen. „Wir wollen zeigen: Wir sind Aachen, wir alle wollen das Gemeinwohl unserer Stadt beleben“, so Julia Claire Graf. Und obwohl vorher viele sagten, das Projekt könne in Aachen nicht funktionieren, haben die drei Damen gezeigt, dass wohl was geht in Aachen. Gemeinsam. \
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