Er ist noch jung, Anfang 30, und er wirkt sogar noch etwas jünger, wenn man ihm gegenüber sitzt. Justus Thorau, 1986 in Berlin geboren, steht ab der nächsten Spielzeit hinter dem Pult des Aachener Sinfonieorchesters. Er übernimmt kommissarisch das Amt des Generalmusikdirektors, das der US-Amerikaner Kazem Abdullah seit 2012 innehatte. „Ich freue mich sehr auf diese Aufgabe“, sagt Thorau. „Ich weiß, dass es viel Verantwortung bedeutet und ich viele weitere Aufgaben erfüllen muss, etwa das Programm planen und Solisten engagieren. Aber ich fühle mich dem Job gewachsen.“
Thorau kommt aus einer sehr musikalischen Familie. Seine Mutter ist Lehrerin und singt nebenbei im Philharmonischen Chor Berlin. Mit ihr war er als Kind regelmäßig bei klassischen Konzerten. Schon während sie mit Justus schwanger war, führte der Chor Bachs H-Moll-Messe auf. Thorau vermutet, dass ihn diese Erfahrung im Mutterleib für sein Leben geprägt hat. Sein Großvater gibt ihm im Alter von dreieinhalb Jahren den ersten Klavierunterricht, zum Geigenspiel kommt er durch seinen Onkel.
Während der Schulzeit bleibt Justus der Musik treu – auch wenn er nicht immer gleichmäßig fleißig übt. Im Nachhinein betrachtet war es vielleicht diese fehlende Verbissenheit, die ihm die Liebe zur Musik durch die Pubertät hindurch und bis heute bewahrt hat. Denn sein Leben hat sich auch um andere Themen gedreht, etwa um Sport. „Ich habe viel Leichtathletik gemacht, vor allem Stabhochsprung hatte es mir angetan“, erinnert sich Thorau. „Später kam noch Windsurfen dazu.“
Seine Klavierlehrerin war es, die sein musikalisches Talent fördern wollte. Das ging so weit, dass sie ihren Schüler auch mal nach Hause schickte, wenn sie meinte, er habe nicht genug geübt. Zu der Zeit spielte Thorau in verschiedenen Ensembles, darunter das Landesjugendorchester. Teil eines Orchesters zu sein, machte ihm viel Spaß, doch er fand mehr und mehr Gefallen an dem Gedanken, nicht nur den jeweiligen Instrumentenpart eines Musikstücks zu beherrschen, sondern einen Überblick über die gesamte Partitur zu haben. Sein erstes Dirigat mit einem Jugendorchester war die „Freischütz-Ouvertüre“ von Carl Maria von Weber. „Das Stück eignet sich sehr gut für den Anfang, weil es nicht zu komplex ist“, erklärt er. „Trotzdem muss es genau dirigiert sein.“ Nach dieser Erfahrung war ihm klar, dass er Musik mit Schwerpunkt Dirigieren studieren will.
Nach Abitur und Zivildienst bewarb er sich bei verschiedenen Hochschulen. Bei seinem Vorspiel an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin saßen die Professoren wie versteinert in der Reihe, während Thorau Stück für Stück spielte oder dirigierte. Es herrschte eine eisige Atmosphäre. „An der Hochschule für Musik ‚Franz Liszt‘ in Weimar hingegen fühlte ich mich von Anfang an willkommen.“
Während des Studiums dort sammelte Thorau erste Erfahrungen bei der Leitung eines Profi-Orchesters. Seine geduldige und strukturierte Art half ihm, das Vertrauen der Musiker zu erlangen. „Es wäre falsch gewesen, mich zu verstellen und den aufbrausenden Impresario zu geben“, erklärt er. „Fehlende Authentizität fällt dem Orchester auf. Außerdem geht es nicht um die Person sondern um die Musik. Alles was man tut, sollte im Dienste der Partitur geschehen.“
Nach dem Diplom ging Thorau als Korrepetitor zum Staatstheater Karlsruhe, wurde jedoch auch als Dirigent eingesetzt. Er leitete etwa „Un ballo in maschera“ von Giuseppe Verdi und „Schwanensee“ von Pjotr Tschaikowsky. 2014 wurde er 1. Kapellmeister und stellvertretender Generalmusikdirektor in Aachen.
Dass er nun in der Domstadt auf dem Chefposten sitzt, ist für ihn kein unerwarteter Schritt. „Das Pult ist der Platz, wo ich immer hinwollte.“ Ihn freut vor allem die Aussicht, mit einem Orchester über einen längeren Zeitraum arbeiten zu können und so einen eigenen Klang zu entwickeln. Was die Auswahl der Stücke betrifft, hat Thorau Einiges vor. „In Aachen Richard Wagners ‚Ring des Nibelungen‘ aufzuführen – das stelle ich mir toll vor.“ Ob er den Plan umsetzen kann, wird die Zukunft zeigen. \sd
Justus Thorau im Klenkes neo-Porträt gibt’s auf klenkes-neo.de
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