Es gibt sie, diese magischen Momente am Ende einer Musikdarbietung. Der letzte Akkord des „Salve Regina“ hallt noch nach. Man ist tief beeindruckt von dieser spirituellen Stimmung und nachdem man Zeuge geworden ist, wie 16 Karmelitinnen durch das Revolutionstribunal auf dem Schafott hingerichtet wurden. Man weiß, dass man einen wirklich grandiosen Opernabend erlebt hat und möchte die aufkeimende Stille noch einen Augenblick auskosten.
Da reißt ein vorzeitiger Klatscher das restliche Publikum mit und holt den Träumer in die Realität zurück. Dabei ist der sich anschließende stürmische Applaus des nicht ganz saalfüllend erschienenen Publikums, der die Premiere von Poulencs Oper „Dialoges des Carmélites“ am Theater Aachen beschließt, in jeder Hinsicht berechtigt. Gertrud von le Forts Novelle „Die Letzte am Schafott“ lieferte die Vorlage für das Libretto Poulencs.
Die Rahmenhandlung aus der Zeit der französischen Revolution ist authentisch. Blanche, die Protagonistin in Novelle und Oper, ist allerdings Fiktion. Die junge Adelige wird von quälenden Ängsten gepeinigt. Im Karmelitinnenkloster von Compiègne sucht sie Heilung ihrer Seelenqualen. Sie trifft dort auf die fröhliche Constance, eine andere Novizin, und die strenge Novizenmeisterin Mère Marie. Bei ihnen findet sie Stärkung, wird aber sogleich wieder mit ihren Ängsten konfrontiert, als sie Wache am Totenbett der alten Priorin halten muss. Als in den Revolutionswirren die Auflösung des Konvents droht, bekräftigen die Schwestern ihr Gelübde und sind zum Märtyrertod bereit.
In Todesangst flieht Blanche zum Haus ihres zwischenzeitlich hingerichteten Vaters. Mère Marie sucht sie dort auf, um sie zu schützen. Nachdem Blanche vom Todesurteil ihrer Mitschwestern erfährt, gelingt es ihr, ihre Ängste zu überwinden. Sie kehrt zu ihren Schwestern zurück und folgt ihnen auf das Schafott. Nur Mère Marie überlebt und kann das Geschehene der Nachwelt berichten. Zuständig für die Inszenierung der Carmélites ist Ute M. Engelhardt, der mit ihrem ersten Engagement für das Theater Aachen ein Bravourstück gelungen ist. Personenführung, Bühnenarchitektur und Kostümierung (verantwortlich: Jeannine Cleemen und Moritz Weißkopf) korrespondieren vorzüglich mit dem strengen, sakralen Charakter der Musik Poulencs.
Damit gelingt eine weitgehend zeitlose, aus dem historischen Kontext herausge-löste Konzentration auf die Themen der „Dialogues“: Angst, Coming of Age, Emanzipation und gesellschaftlicher Umbruch. Parallelhandlungen, wie die Verhaftung von Blanches Vater und die Verwüstung seines Hauses, ereignen sich in einem hinter der Hauptbühne gelegenen Guckkasten, aus dem in der Schlussszene eindrucksvoll das Blut der Märtyrerinnen auf die Bühne rinnt. Die zahlreichen Solostimmen des Abends gefallen ausnahmslos. Musikalisch herausragend in der Partie der Blanche ist wiederum Suzanne Jerosme.
Das neue Ensemblemitglied entwickelt sich in der laufenden Spielzeit geradezu zu einem Glücksgriff für das Aachener Theater. Überzeugend auch ihre Darstellung der Gemütslagen der jungen Novizin zwischen innerer Zerrissenheit und kindlicher Unbefangenheit. Katja Starke hat als sterbende Priorin einen dramatisch starken und unter die Haut gehenden Auftritt, ebenso wie Irina Popova, die der gestrengen Mère Marie einen herben Charakter verleiht. Stimmlich brillant und mit kraftvollem Sopran setzt sich Faustine de Monès als Constance auch gegenüber den Fortissimo-Sequenzen aus dem Graben durch.
Alexey Sayapin verkörpert den liebevollen Bruder Blanches und verleiht seiner schönen Tenorstimme die hierzu passende Milde. Nur Gutes ist aus dem Graben zu berichten. Justus Thorau am Pult merkt man seine Begeisterung für die klangfarbenreichen Ausdrucksformen Poulencs an. Der kommissarische GMD motiviert das Sinfonieorchester Aachen ein weiteres Mal zu einer außerordentlich beachtenswerten Leistung, welche im abschließenden „Salve Regina“ seinen emotionalen Höhepunkt findet.
Womit wir wieder beim Publikum wären: Es bleibt einer in allen Belangen stimmigen Inszenierung zu wünschen, dass die folgenden Aufführungen am Aachener Theater noch größeren Publikumszuspruch finden. Insbesondere für Opernfreunde ist die Produktion ein must-go. \ uh
5., 17., 20.+26.5.
„Dialogues des Carmélites“
19.30 Uhr, Bühne, Theater Aachen
KlenkesTicket im Kapuziner Karree
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