Von Ulrich Herzog
Die Geschichtsschreibung hat es nicht gut gemeint mit den beiden Protagonisten von Claudio Monteverdis 1642 uraufgeführtem Spätwerk „Die Krönung der Poppea“, das am Theater Aachen die neue Spielzeit eröffnete. Das Bild der römischen Kaiserin Poppea in der Nachwelt wird im Wesentlichen durch Tacitus‘ Annalen bestimmt, die sie als eine der schönsten Frauen ihrer Zeit beschreiben, aber voller Wollust und Berechnung. „Gezielt hat sie ihre Schönheit zur Verfolgung eigener Interessen eingesetzt“ ist Tacitus‘ vornehme Umschreibung dessen, was man heutzutage salopp als „Hochbumsen“ bezeichnen würde. Und Nero, der inzestuöse Muttermörder, der Rom abgefackelt und politische Gegner den Löwen im Kolosseum zum Fraß vorgeworfen hat, bedarf keiner näheren Charakterisierung, zumal sein Image, wie die Dramaturgie des Aachener Theaters in einer nicht repräsentativen Umfrage ermittelt hat, vor allem durch Peter Ustinov geprägt wird.
Anmutige Liebende
In Jarg Patakis Inszenierung der „Poppea“ sind die beiden, trotz ihres zweifelhaften Rufs, vor allem eines: anmutig Liebende.
Dass dies in einer Oper nicht so ganz ohne Komplikationen sein kann, liegt daran, dass beide nicht frei, sondern noch verheiratet sind. Ottone, Poppeas Ehemann Nr. 2, findet, als er von einem Römer-Feldzug nach Hause zurückkehrt, seine Gattin in flagranti in Neros Armen vor. Ottavia, Noch-Ehefrau Neros, ist gleichfalls tief verletzt. Seneca, der große Philosoph, versucht die Situation zu konsolidieren, bezahlt seine Kühnheit gegenüber dem Kaiser jedoch mit dem angeordneten Suizid. Daraufhin stiftet Ottavia den gehörnten Ottone an, Poppea zu töten und sich dabei der Hilfe Drusillas, seiner Ex, zu bedienen.
Das Attentat scheitert – die Verschwörer werden festgenommen. Doch anstatt sie vielleicht an einer Cembalosaite aufzuhängen, lässt Nero unerwartete Milde walten und straft die Täter nur mit Verbannung. Für Poppea und Nero ist der Weg nun frei. Nero krönt seine Geliebte zu seiner Kaiserin und das folgende „pur ti miro“ wird für fast 150 Jahre eines der bezauberndsten und anmutigsten Liebesduette der Opernliteratur sein.
Raum für Fantasie
Die Inszenierung Patakis lässt dem Betrachter viel Raum für Fantasie. Neros Hofstaat lebt und agiert bisweilen orgiastisch in einem semitransparenten, bühnenfüllenden Riesenkokon. Nur manchmal, wenn sich die Drehbühne bewegt, wird dem Zuschauer Einblick dorthinein gewährt. Nero und Poppea suchen die Befreiung hieraus, indem sie die Außenhaut des Kokons immer weiter einreißen. Das um Fachkräfte der „Alten Musik“ erweiterte Sinfonieorchester Aachen musiziert auf historischen Instrumenten mit hoher Akkuratesse. Justus Thorau, der junge kommissarische GMD, hat bereits mit Händels Orlando in der vergangenen Spielzeit seine beachtenswerten Fähigkeiten in historischer Aufführungspraxis unter Beweis gestellt.
Bei der zur Aufführung kommenden Fassung der Poppea handelt es sich um eine wissenschaftlich entwickelte Rekonstruktion der Oper aus verschiedenen Bearbeitungen, welche erstmalig in diesem Jahr editiert wurde – eine „kleine“ Uraufführung also. Bei den Stimmen verdienen vor allem die beiden Countertenöre, Owen Willetts, und Riccardo Angelo Strano, letzterer als Nero sogar im Sopran-Register, sowie der großartige Bass Woong-Jo Choi als Seneca und Katharina Hagopian als Ottavia besondere Erwähnung.
Und Poppea? Die junge französische Sopranistin Suzanne Jerosme verleiht der Figur einen einzigartigen Zauber – eine wahre Augen- und Ohrenweide und ein beglückender Zuwachs für das Ensemble des Aachener Theaters. Das Publikum dankt mit ungeteilter Zustimmung, lang anhaltendem Applaus und standing ovations. \ 17.11.
L’incoronazione di Poppea
20 Uhr, Bühne, Theater Aachen
KlenkesTicket im Kapuziner Karree
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