„Reiß dich bitte zusammen, wenigstens heute.“ Vincents Vater verlangt von seinem Sohn ein angemessenes Verhalten. Angemessen für die Trauerfeier von dessen geliebter Mutter. Doch Vincent kann sich nicht zusammenreißen. Wörter bahnen sich ihren Weg, rasche und unwillkürliche Bewegungen durchzucken seinen Körper. Und es platzt aus ihm heraus: „Möse lecken“; „Arschfotze“; „Ficken“.
Vincent (Malte Sachtleben) leidet am Tourette-Syndrom. Eine neuropsychiatrische Erkrankung, die sich vor allem in sogenannten Tics äußert. Rasche, plötzliche Bewegungen und laute, ungewollte Ausrufe. Beschämt verlässt er den Gottesdienst. Sein Vater (Gastschauspieler Daniel Wandelt), Politiker und gerade mitten im Wahlkampf, ist nicht interessiert an seinem „fehlerhaften“ Sohn, bringt ihn in einer Fachklinik unter. Nette Worte zum Abschied? Fehlanzeige. Stattdessen Sätze, die niemand von seinen Eltern hören sollte: „Da lächelt sie – das war vor deiner Geburt“ und „Wenn es dich nicht gäbe, hätte sie gar nicht gesoffen.“
In der Klinik lernt Vincent die magersüchtige Marie (Neuzugang Angela Ahlheim) und seinen zwangsneurotischen Zimmergenossen Alex (Klaus Beleczko) kennen. Gemeinsam fliehen sie aus der Klink – eher zufällig zu dritt – und starten einen Roadtrip Richtung Italien. Für Vincent kein zufällig gewähltes Ziel: Genau hier möchte er seiner Mutter ihren letzten Wunsch erfüllen. Nach und nach erschließt sich, welchen anstrengenden Weg der junge Vincent bis hierher schon hinter sich gebracht hat. Wie viele Therapieansätze an ihm schon ausprobiert wurden, welches schreckliche Schicksal der Tod seiner Mutter ihm gebracht hat.
Dazu ein Vater, dem nur wichtig ist, seine Politikerkarriere voranzubringen. Doch gemeinsam lernen die drei Flüchtigen das Leben kennen, gehen über ihre Grenzen hinaus. Verlieben sich. Das Bühnenbild des ersten Stücks der Spielzeit im Das Da ist reduziert und dennoch imposant. Mal quer gestellt, mal hochkant stapeln sich graue Kisten übereinander. Die Aufschriften: Tiaprid, Nitoman, Ritalin, Strattera, Tiaprid.
Alles Medikamentennamen. Antihyperkinetika, Neuroleptika. Zur Behandlung von Defiziten und Störungen. Szenisch werden die Kisten mal zu Patientenzimmern, zu Autos oder gar zu Bergen, die erklommen werden wollen. Eine gelungene Premiere mit durchweg guten Schauspielern, die das Publikum zum Lachen und Nachdenken bringen. Mit ziemlich viel Ehrlichkeit: „Das war sein Tourette“ – „Ne, das hab ich so gemeint.“ \ cr
1., 5.-?8., 12.-?15.10.
„Vincent will Meer“
verschiedene Uhrzeiten, Das Da Theater
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