Für Pfarrer Markus ist klar: Die Kirche muss sich erneuern, um zu bestehen. Bischöfe mit Stab und Gottesdienste im klassischen Sinne sind überholt – wer möchte sich heute noch gerne als Schafherde fühlen? Er veröffentlicht ein Buch über seine Ansichten, tritt wild gestikulierend in Talk-Shows auf. Wer seine Ansichten nicht liebt, hasst sie. Zu letzteren gehört Heidi, die Markus noch aus früheren Tagen kennt, aber vor 20 Jahren den Kontakt abbrach, weil er ihr im Ferienlager zu nahe kam. Heidi ist heute alles andere als liberal, für sie ist die Bibel Wahrheit, die Evolution eine Lüge.
Karsten Meyer spricht als Pfarrer Markus die „Gemeinde“ an, aus einem zerfledderten Tagebuch beginnt er „seine Version der Geschichte“ zu erzählen, wie er zum „Skandalpfarrer“ auf dem Titel der BILD wurde. Mal süffisant lächelnd, mal am Boden zerstört leidend – Meyer spielt jede Facette des Pfarrers aus. Ihm gegenüber steht Julia Brettschneider als fremdbestimmte Heidi, die nur dann zum Menschen wird, wenn jemand anders für sie entscheidet. Ihre Sekte rechtfertigt es, dass sie aufbrausend wird, sich wild echauffiert, weil Markus nicht an die Auferstehung glaubt. Mit gläsernem Blick schaut sie in die Ferne, betet zu Jesus, er möge Markus erleuchten. Als sie „Urlaub“ vom Glauben braucht, will sie Gott durch Markus ersetzen – ebenso unreflektiert.
Halina Kratchowil hat mit einfachsten Mitteln ein beeindruckendes Bühnenbild geschaffen: Die schiefe Ebene spricht für sich. Overheadprojektoren projezieren flüchtige, wechselnde Erinnerungen: ein Sternenhimmel, das Zimmer im Ferienlager, ein Fernsehstudio.
Wer ist der Fundamentalist? Heidi, die die Bibel mit der Bibel rechtfertigt? Oder Markus, der so sehr hinter seiner liberalen Religionsauffassung steht, dass er bereit ist, für diese und den Kommerz als Satan bezeichnet zu werden? Das Thema ist komplex – wie weit darf Glaube gehen? Wo beginnt Fanatismus? Hört Glaube auf, wo Wut beginnt? Was ist Liebe, was Glaube? Die beiden Darsteller zeigen alles, unterstreichen jede Gefühlsregung, jeden Zweifel – ganz nah dran auf der kleinen Bühne der Kammer. Ein Stück das sich lohnt, auch wenn 90 Minuten nicht reichen, um auch noch unter der Oberfläche zu schürfen.
Text: Barbara Taxhet
Foto: Wil van Irsel
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