Von Dirk Tölke
Mit manischem Fleiß ist der heute in Kluisbergen wohnende Christian Silvain seit frühester Kindheit in der Bilderstellung tätig. Aus der Nachahmung gewann der Autodidakt die Bildroutine und Befähigung, aus der bitteren Lebensgeschichte und inneren Isoliertheit seine Intensität und Bildwelt, die um eine verlorene Kindheit, die Sehnsucht nach Beachtung und sein privates Umfeld kreist. Was er wie daraus macht, ist allerdings malerisch und in seiner authentischen Direktheit erschreckend gut.
Silvain wuchs in Eupen unter schwierigen Bedingungen auf. Mit dem Besuch der Schule in Spa wurde sein Talent von den Lehrern entdeckt und gefördert. Mit 16 zog er mittellos nach Brüssel und lernte bei einem Aushilfsjob am Theater „De Munt“ Maurice Béjart und Jacques Brel kennen, stieß auf den belgischen Maler Paul Delvaux, dessen Freund er wurde und dessen Surrealismus und Malweise er übernahm, durch Gotik- und Renaissancestudien ergänzte und seit 1970 in Ausstellungen der Öffentlichkeit präsentierte. Chagall und Alechinsky schätzt er.
Kindheitsanalyse
Anfang der 1980er entstanden als zweite Phase fotorealistische Fassadenbilder und Graffitis. Jahre später verarbeitete er seine Kindheit in quadratierten Gemälden, deren Bildfelder er mit zerbrochenen Spielsachen, Wortfetzen und Gegenständen real und gemalt füllte. Blau, Weiß und Rot sind die dabei genutzten markanten und kräftigen Kernfarben. Er versucht, seine Kindheit zu analysieren, zu verstehen und schließlich auszudrücken. Mit wenigen Pinselstrichen stellt er in realistischer Plastizität Gegenstände dar, holt die skizzierten Hintergründe und die brüsken Inhalte seiner Schriftzüge als weiß belassene Flächen durch Schwärzung und Schraffierung hervor. Schriftartige Wellenzeilen befüllen die Freiflächen wie Strafarbeitstexte. Das Vokabular hat Züge von Art Brut, denn er lässt sich seit Mitte der 80er von Zeichnungen autistischer Kinder und der Bildnerei von Geisteskranken inspirieren, die er beobachtet, wie Prinzhorn, der als Arzt seine Sammlung von Bildnerei von Geisteskranken 1922 veröffentlichte und Jean Dubuffet, der ähnliches tat und Kinderzeichnungen ergänzte. Diese Pioniere der Wahrnehmung solcher Bilder waren noch von der Ursprünglichkeitssuche beeinflusst, die auch Volkskunst und Felszeichnungen einbezog.
Kindheitsbildwelt
Silvain scheint das Kindsein und kindliches Erleben in seiner Bildlichkeit darüberhinaus wichtiger zu sein. 1988 kaufen die Ludwigs elf Arbeiten des mit vielen berühmten Künstlern bekannten Malers. Seit 2000 wechseln seine Bildbaustrukturen erneut. Figuren bilden das Zentrum. Mütter, Mickey Mouse, Elefanten und Hasen in Schwarz, weiß, dann blau und schließlich rot sind umfasst von Worten der Verlorenheit, Gleichgültigkeit und Verzweiflung. Auf trostlos einsamem Grund bieten die aktuellen Bilder gemalte Spielzeuge und Zeichentrickfiguren, die zur Kindheitswelt zählen, kombiniert mit bitterlichen Sentenzen, die zu einer mobbinggeprüften, unentfalteten Kindheit gehören, leider durchaus noch immer vorhandene Wirklichkeiten, denen der erwachsene Maler ein Gesicht gibt, eine ansehnlich sarkastische Überzeichnung. Ein später Ausdruck in Verarbeitung früher Erfahrungen. Keine falsch niedliche Kinderkunst und keine reine Opfersituation, sondern unheile Kinderwelt, bezirhungsweise das ganze Spektrum: Träume und Tröstendes, negativer Erfahrung und Handlung. Keine Idealisierung oder Beschönigung der Kindheit. Kindhaftigkeit rekonstruiert. \
bis 13.1.
Christian Silvain
Galerie Fox, Eupen
Christian Silvain
wurde 1950 in Eupen als Christian Gohimont geboren, elternvernachlässigt von zwei Tanten mit Spielzeugladen erzogen und früh zu Kopien von Bildern animiert. Nach deren Tod bricht der Begabte mit der Familie, geht 1966 nach Brüssel, schlägt sich mit Musik durch, arbeitet bei Theaterdekorationen, lernt Berühmtheiten kennen und heiratet 1971. Der Autodidakt wird 1984 Vater und lebt heute in Kluisbergen. Von 2009-13 beherbergte Burg Stockem in Eupen die 475 Werke der 1992 gegründeten Silvain-Stiftung. \
Website Galerie Fox
Website Christian Silvain
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