Von Dirk Tölke
Die geburtenstarken Jahrgänge werden sich erinnern, als wäre es gestern gewesen. Der Hunger nach Bildern, Punk und Neue Wilde prasselten mit breitem medialem Spektrum in die Prä-Internet-Zeit und füllte die subkulturellen Nischen. Kunstmarkthype und erkämpftes Selbstbewusstsein der Homosexuellenszene hängten sich an diese unbekümmerte Ausdrucksform, die sich um Konventionen nicht scherte.
„Zeitgeist“ und „von hier aus“ hießen 1982 und 1984 die Verbreitungsausstellungen. Vorbereitet hatte das Ganze auf der malerischen Ebene die Gruppe der Neuen Figuration, Hoedicke, Baselitz, Schönebeck, Lüpertz und Penck, die als Lehrer einflussreich wurden. Nicht nur die Figuration und Gegenständlichkeit wurde der federführenden Abstraktion wieder abgerungen, sondern auch eine neue Geschichtsmalerei mit Kiefer und Immendorf. Die Produzentengalerie Grossgörschen 35, die Schule der neuen Prächtigkeit um Johannes Grützke, die Mauer, der sozialistische Realismus und die Generationsreste der neuen Sachlichkeit trafen in Berlin zusammen und gebärdeten sich roh, pathetisch, dithyrambisch und pandämonisch.
Dann wurde der Klang heftig, banal, rebellisch, respektlos, lustvoll, energetisch, geil und bissig. Diskotheken (Café Deutschland) statt Künstlerkneipen wurden recht bald von Undergroundrefugien wie SO 36, Büros und Selbsthilfegalerien abgelöst, während ein raueres, hoffnungsminimiertes Lebensgefühl mit Apokalypseappeal auf 1984 zumarschierte.
Vivienne Westwoods Punkmode hatte Einfluss, stärker war der der Musik, der punkkonformen Do-it-yourself-Bewegung, eine Entgrenzung und Lebenslust, eine kühne Subkultur, die dem empfundenen Widerspruch gegenüber Etabliertem und Parteiideologischem das Grelle, Bizarre, Verspielte, Gestische, Spontane und Ungehobelte individuell entgegenbleckte. In dieser männlich dominierten Melange aus enttäuschtem Überdruss, Widerwillen und Grenzerforschung, die einem postmodernen anything goes zu wallte, waren Elvira Bach, Christa Näher (s. Bild oben) und Claudia Skoda überlieferungsscheinbar Ausnahmefrauen und Protagonisten in Alfred Bioleks Bahnhof wirkten wie ein Treffen von Biedermann und Brandstifter. Kleine Zirkel haben da Bewegung gebracht, mythisch gewordene Veranstaltungen initiiert, die Kunst mit Mode, Musik und Design verquickt, mit enormem Mut von Salomé und Klauke Freiräume für Lebensräume eingefordert und neue Präsenzen ausgelebt, schwul- und queer sein aus der Versteckecke geholt.
Mit geschäftstüchtiger Bildphantasie und unverschämt beherzter Frechheit hat Martin Kippenberger Möglichkeitsräume durchgespielt. Eine ideenreiche Bildergalerie voll Provo-Witz hängt da von ihm in der Ausstellung, die mit Nischen und Kammern die Fülle der Subkulturen und Überlappungen von Kunst, Musik, Theater, Film und Performance nachvollziehbar macht. Ideologiearm und an Ewigkeit und Bedeutsamkeit wenig interessiert, eher am Augenblick und schnellem Ruhm, wird da schnoddrig die leiberzuckende Energie verbraten: exzessiv, expressiv und großformatig, komplex und wuchtig, noch immer sinnlich, verwunderlich und ausbildungsarm experimentell.
Wie bei anderen Ismen, etwa Dada, ist das Übergreifende kunsthistorisches Konstrukt, das unzählige exemplarisch sichtbar gemachte Individual- und Kleingruppengeschehnisse bündelt. Wie schon die 1968er-Ausstellung ist diese detailreiche Aufbereitungsinszenierung nicht in einem Rutsch verdaubar. Filme, Musik und O-tonhaftes arbeiten der Vergegenwärtigung dieser Phase wilder und heftiger Kunst zu. Die eintrittsfreien Donnerstage geben dem Begreifen kostenarme und lehrreiche Gelegenheiten. \
bis 10.3.
„Die Erfindung der neuen Wilden. Malerei und Subkultur um 1980“
Ludwig Forum für Internationale Kunst
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