Von Dirk Tölke
Die Räume des Neuen Aachener Kunstvereins sind nahezu flächendeckend auf Wänden und Fußböden mit großformatigen Fotoplakaten bestückt, die alle Casey Spooner zeigen. Der Künstler, Musiker und Performer gründete 1998 in New York mit Warren Fischer das Projekt Fischerspooner.
Sie wollten die als dumpf und elitär empfundene Kunstszene in Richtung Unterhaltung öffnen. Parallel zu ihrem vierten Album „Sir“, das der NAK exklusiv als Vinyl-Edition anbietet, zeigt die gleichnamige Ausstellung 40 Aufnahmen von verschiedenen Fotografen, die auf dem Projekt „Egos“ von 2015 basieren.
Das klassische Porträt differenziert sich aus. Demnach erscheint kein Bewerbungs- oder Passfoto, kein geschöntes und auch kein individualisiertes Bild der Person plakativ auf den Wänden. Auch die Selbstdarstellungspotpourris der Selfies haben einen anderen Charakter. Models und Werbeikonen rücken den Darstellungen schon näher. Alle sind gestellt, zeigen einen unterschiedlich posenden Mann, der seinen maskulinen Körper sprechen lässt und vorweist, was er zu bieten hat.
Sir als Betitelung bedient ja mit Respekt vor der Dominanz schon ein je spezifisches Rollenimage aus dem breiten Spektrum der „Village People“. Das bekommt Warencharakter, nähert sich dem Bravo-Starschnitt, den Promotionfotos von Musikgruppen, die sich ein Image geben wollen. Trotz der Vielfalt der Rollen, in denen Casey Spooner auftaucht, ist das nicht mit Bühnenstills oder Mappen von Schauspielern zu vergleichen.
Es geht schon um Begehrlichkeit und neckisch angehauchte Sehnsuchtsbedienungen, die heute sonst gerne androgyne Inszenierungen nutzen, um Männer und auch Frauen als Fans mit Teasereien zu binden. Hier nun geht es auch eindeutig um queere Rollendefinitionen. Die Vielfalt homosexueller Körperkonstitutionen lässt sich nicht auf einen Nenner bringen, der den einen typisch schwulen Mann erkennbar machen würde.
Dennoch zeigen sich Bestrebungen, mehr oder weniger offensiv einen Habitus und Lifestyle zu entwickeln, der der Community einen eigenen gemeinsamkeitsstiftenden Charakter verleiht. Hier schließt die Frage nach einer lesbi-schwulen Ästhetik an ältere Debatten an, die nach der Eigenart der Kunst von Frauen oder Behinderten fragen. Technisch unterscheiden sich Künstler in der Gestaltung nicht, Moralität lässt sich auch nicht an Kunsterzeugnissen ablesen.
Lässt sich also wirklich eine Gruppenidentität inhaltlich finden, die relevant ist, oder wird sie erfunden? Gibt es eine typische Kunst von Linkshändern, Magenkranken, Rothaarigen, Deutschen, sexuellen Orientierungen oder nur jeweils beliebte Bildelemente, Vereinswimpel und spezifische Erfahrungswelten? Wem hilft die Differenz, Gruppenidentität und Abgrenzung? Da geht es wohl auch um Macht und Menge im Durchsetzen eigener Ziele und Freiheiten.
In den Inszensierungen Casey Spooners scheinen neue Formen des Menschenbildes zwischen Rollenvielfalt und Selbstaufgabe auf, die weniger auf Charakterisierung aus sind, als auf Kontaktaufnahme, Attraktivität und Selbstanpreisung. Was wollen solche „Portraits“ vom porträtierten Mitmenschen noch wissen? Sind sie Ware oder wahre Bilder? Weltoffen, selbstbewusst, fröhlich, gelassen und professionell genug scheint Casey Spooner jedenfalls, um all das mit sich machen zu lassen. In sofern wird Persönlichkeit in den Bildern dieser Person deutlich. Er benötigt ja auch beruflich PR und Kundenbekanntheit. Und der NAK hat mal wieder Bildweltdifferenz sichtbar gemacht – mit einer Schaulust, die erotische Anziehungskraft als gelebte Rolle nicht ausspart.
bis 27.5
„Sir. Fischerspoon“
Neuer Aachener Kunstverein
WEITEREMPFEHLEN