Sänger, Schauspieler, Chor und Orchester gestalten die einzelnen Fragmente der Inszenierung „An den Wassernzu Babel“. Eine Klammer um diese Szenen setzen die Auftritte von Hiob, dem von Gott zur Prüfung gestraften Gläubigen. Eigentlich werden nicht nur einzelne Szenen aus dem Alten Testament dargestellt – wie der Tanz um das goldene Kalb – sondern Tomasz Man geht mit seinen Texten bewusst weiter. Er zeigt die Menschen hinter den Geschehnissen, sozusagen in einer Weiterleitung oder Erweiterung, die über das hinausgeht, was in der Bibel geschrieben steht. Und häufig werden dann Zweifel an Gottes Willen oder seinem Handeln geäußert. Tomasz Man lässt die Akteure nach- und hinterfragen. So ist Noah nach der Landung der Arche ein seelisches Wrack, der mit den Gedanken an die Menschen, die er ertrinken lassen musste, nicht fertig wird. Kain beklagt sich bei Gott, nachdem er seinen Bruder Abel aus Eifersucht erschlug, warum Gott seine Opfer als weniger Wert empfand als die Opfer seines Bruders. Warum wurde der Bruder bevorzugt, wenn Kain sich doch genauso bemühte. Die fragmentarisch aneinander gereihten Szenen beginnen mit der Vertreibung aus dem Paradies und enden mit Moses Tod. Immer wieder werden sie unterbrochen und ergänzt durch Soli und Chöre verschiedener Komponisten. Erhellend kommentierend begleitet ein „Forscher“ die Szenen im Hintergrund. Wussten Sie eigentlich schon, dass es in der Bibel keine Geschichte über die Tochterliebe gibt?
Ludger Engels bringt dieses schwierige Stück in beeindruckenden, innovativen Bildern auf die Bühne. Dabei zerfällt die Inszenierung in zwei Teile. Der erste Teil konzentriert sich auf den Auszug aus Ägypten und wird in altertümlich wirkendem Tableaux erzählt. Immer wieder hat man das Gefühl, alte, religiöse Malereien vor dem Auge zu sehen. Der zweite Teil – die Zeit nach dem Auszug, das Volk Israel ist nun frei und nicht mehr versklavt, es etabliert sich in der neuen Heimat – wirkt kühler und steriler, vor allem durch den Einsatz des Lichts. Er ist weniger chaotisch als der erste Teil, deutlich geordneter und moderner in Formen und Handlungsweisen. Sehr deutlich wird dies auch durch die Kostüme (Christin Vahl). Es ist ein schwerer Stoff, den Engels inszeniert; während die Szenen bzw. Personen des ersten Teiles selbst nichtbibelfesten Zuschauern bekannt sein dürften, sind die Geschichten des zweiten Teiles ziemlich unbekannt und es ist teils schwierig, dem Inhalt zu folgen. Dadurch wirkt die Inszenierung nach der Pause teilweise etwas langatmig. Auch die atmosphärische Stimmung des Beginns fasziniert stärker als die Kühle des nachfolgenden Teils. Doch es lohnt, die Inszenierung Ludger Engels zu besuchen, denn selten ist solch ein innovatives, anregendes, letztlich packendes Stück Theater auf der Bühne zu sehen.
Unterstützt wird Engels durch ein phantastisches, spielfreudiges Ensemble. An erster Stelle soll hier der sinfonische (!) Chor Aachen genannt werden. Ein Chor, der nicht nur sängerisch die Herzen höher schlagen lässt, sondern auch frisch und glaubwürdig agiert. Unter den Schauspielern und Sängern fällt es schwer, ein Mitglied hervorzuheben, denn alle liefern darstellerisch und sängerisch Bestleistungen ab. Dennoch: Astrid Pyttlik, der Mezzosopran, der schon in Madame Butterfly mehr als nur auf sich aufmerksam machte, muss ein Extralob gezollt werden. Da war wirklich kaum zu erkennen, ob sie zu dem Schauspieler- oder dem Sängerensemble gehörte; mit ihren Tanzeinlagen hätte man in ihr auch eine Leihgabe eines Ballettkorpses sehen können. Das Sinfonieorchester Aachen bewältigte souverän unter der Leitung von Volker Hiemeyer die musikalische Begleitung.
Text: Tanja Sprungala
Foto: Wil van Iersel
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