„Ich lächle, wenn ich allein bin“, raunt die Tochter. Überhaupt könne sie erst dann wieder glücklich sein, wenn man „dieses Schattenreich“ hinter sich gelassen habe.
Was Martha und ihre Mutter planen, ist nicht weniger als einen weiteren Mord an einem Besucher ihres Gasthauses. Dieses ? gelegen in unwirtlicher Gegend ? wirft nicht genügend ab, um einen Schlussstrich ziehen zu können, um in den Süden ans Meer zu gelangen. So bereichert man sich an den seltenen, aber im besten Falle reichen Gästen.
Die Mutter, durch Katharina Mathar grollend dargestellt, scheint erst kühl („Was man nicht kennt, das kann man leichter töten!“), offenbart jedoch zugleich eine große Müdigkeit.
Sie soll letztlich in ihrem Zweifel bestätigt werden, ist das erwählte Opfer doch ihr eigener Sohn Jan, souverän dargestellt von Jochen Deuticke, der sich 20 Jahre nicht blicken ließ und nun in seine alte Heimat zurückkehrt. Weder die Gemahlin Maria noch seine wahre Identität möchte er den beiden Zurückgelassenen offenbaren, vielmehr will er von ihnen erkannt werden: „Es dauert seine Zeit, bis aus einem Fremden der Sohn wird.“
Das vorhandene Tableau beschreibt eine Versuchsanordnung Albert Camus’ und ein antikes Schicksalsthema zugleich. Denn der unerkannte Sohn fällt mittels vergifteten Tees den beiden Damen zum Opfer; die bittere Erkenntnis kommt zu spät. Jan besteht auf sein Spiel, möchte seine Familie auf die Probe stellen. Seiner geliebten Maria gegenüber beteuert er: „Ich werde am Ende die Worte finden, die alles erklären!“ Auch wenn Martha den „unbekannten“ Gast nicht demaskiert und bohrend ausfragt: Ihr Bruder lässt von seinem Vorhaben bis zu seinem Ende nicht los, gibt den Fremdling. Mit der Anagnorisis wird auch das helle Bühnebild in eine dunkelrote Hölle umgeklappt; die Mutter folgt Jan schließlich in den Tod.
Im Januar jährte sich der tödliche Autounfall Camus’ zum 50. Male - das Theater K zeigt mit „Das Missverständnis“ in der Inszenierung Mona Creutzers mehr als ein Kriminalstück. Ausgangspunkt der Philosophie Camus’ war stets das Absurde; die Gewissheit des Menschen, dass das Elend der Welt keinen Sinn bereit hält. Das Atheistische wird im Stück nicht zuletzt durch den alten Knecht (schaurig: Ismael Hawramy) dargestellt. Mit blutunterlaufenen Augen stiert dieser immer wieder aus der kargen Szenerie heraus, sorgt für eine unbehagliche Grundstimmung und nimmt sinnbildlich die Rolle eines abwesenden Gottes ein. „Helfen Sie mir bitte“, zetert Maria, als sie vom Tod ihres Mannes erfährt. „Nein“, ist das erste Wort des Knechts und zugleich das letzte des Stückes.
Durchgängig zeigt das Ensemble eine beachtliche Leistung; Meike Misia transportiert zudem trefflich den Hass der furienhaften Martha auf ihren Bruder, der selbst über dessen Tod fortbesteht. Andauernder Premierenapplaus.
Robert Targan
Termine:
12., 13., 14., 19., 20., 25., 26., 27.3.
9., 10., 16., 17., 24., 25.4.
„Das Missverständnis“
20 Uhr, Theater K
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