Daniela Neubauer bringt eine der bekanntesten Romanvorlagen aller Zeiten auf die Bühne, für ihre Version des 800 Seiten-Klassiker hat die Regisseurin den Stoff stark abgespeckt und reduziert. Die langen detailreichen Beschreibungen des Walfangs streift sie nur am Rande, die Bedingungen an Bord, die Beziehungen zwischen den Crewmitgliedern bilden im Roman den inhaltlichen Rahmen für philosophischen Stoff, Neubauer lässt das Gerüst weg. Bei ihr dreht sich alles um den inneren Zwang von Kapitän Ahab und seine Träume, seine Verbissenheit, seine Ängste, seine Blindheit für alles außer Moby Dick. Um ihn kreisen Ismael und Starbuck, sie zeigt die Regisseurin als Reaktoren auf Kapitän Ahab, als von ihm instrumentalisiert. Ahabs einziges Ziel ist es, sich an Moby Dick dafür zu rächen, dass dieser ihm ein Bein abriss. Den finanziellen Druck der Schiffseigner, die Gefahren für sich und seine Crew kann Ahab in seinem Wahn nicht berücksichtigen. Über allem schwebt das weiße Monster Moby Dick. Roman Kohnle ist ein charismatischer Ahab, mit viel Erfahrung auf See, humpelnd, gezeichnet von Moby Dicks Angriff – körperlich und seelisch. „Ich würde selbst die Sonne schlagen, wenn sie mich beleidigt.“ Er glaubt, sein Leben erlange erst wieder Sinn, wenn Moby Dick geschlagen ist, Kohnle legt die Verbitterung in jede einzelne seiner Bewegungen, in jeden seiner Sätze. Seine Mannschaft: Auf der einen Seite ist da Robert Seiler als Starbuck, gleichermaßen abgeklärt und einfühlsam, er versucht mit Verstand, Ahab von seinen gefährlichen Racheplänen abzubringen, bringt Ruhe in die Mannschaft, sitzt minutenlang da, raucht Pfeife. Auf der anderen Seite Oleg Zhukov als naiver, schnell für alles zu begeisternder Ismael. Wie ein kleiner Junge hüpft er wild auf und ab, als er glaubt einen Wal zu sehen, schwitzt, verausgabt sich an Bord – für ihn ist der Walfang ein Abenteuer, er stellt Ahabs Ziel nicht in Frage.
Neubauer setzt Ric Schachtebecks Raumgestaltung ein, um die Welt der Meere und den Mythos Moby Dick heraufzubeschwören. Bambusrohre, die von der Decke hängen, bei deren Durchstreifen ein Höllenlärm den Sturm symbolisiert, und lange weiße Vorhänge, die sich durch den ganzen Raum ziehen lassen – mal als Wal, mal als Schiff, mal als Blase, die Ahab umgibt. „Es ist das Weiß des Weiß, das uns in Angst und Schrecken versetzt. Dem Wesen nach zeichnet sich Weiß durch die Abwesenheit von Farbe aus.“ Es ist die Abwesenheit des Wals in Neubauers Inszenierung, die die Angst vor ihm so allgegenwärtig werden lässt. Es ist der Kampf gegen eine Unbekannte, den Ahab führt. Es ist der Kampf für seine persönliche Befriedigung, die ihn ein Leben lang treibt. Bis in den Tod. Mit Minimalismus schafft es Neubauer, einen eigenen Fokus zu setzen.
Text: Barbara Taxhet
Foto: Wil van Iersel
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