Man kennt das aus der Märchen- und Sagenwelt. Rätsel machen eine Story so richtig spannend, ob bei Ödipus und der Sphynx, bei Amor und Psyche, dem Rumpelstilzchen oder dem tapferen Schneiderlein. Und immer sind es drei Aufgaben, die die Schicksalswende herbeiführen und über Befreiung und Verhängnis, Liebe oder Tod entscheiden. Nicht anders ist es in dem von Giacomo Puccini vertonten Märchen „Turandot“, welches aktuell von Ewa Teilmans für das Theater Aachen neu in Szene gesetzt wurde. Die Geschichte von der männerfeindlichen „Principessa di gelo“, die jeden Freier, der ihre drei Rätsel nicht lösen kann, umbringen lässt, entstammt dem Kulturkreis des mittleren Ostens und geht in das 13. Jahrhundert zurück. Puccinis Librettisten verlegten die Handlung an den kaiserlichen Hof in Peking und damit in eine Location, die zum Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa sehr in Mode war. Vollenden konnte Puccini sein Werk allerdings nicht mehr. Die Uraufführung fand im April 1926, knapp anderthalb Jahre nach seinem Tod, an der Mailän-
der Scala statt. Am Theater Aachen erklingt die Alfano-Fassung, nachdem der ursprüngliche Plan, die erst 2002 komponierte Fassung von Luciano Berio zu verwenden, coronabedingt aufgegeben werden musste. „Turandot“ auf den Spielplan zu bringen, ist bereits in „normalen“ Zeiten, außerhalb einer Pandemie und für Bühnen, die über größere Budgets verfügen, als dies in Aachen der Fall ist, ein gewagtes Unterfangen. Puccini verlangte ein großes Orchester und einen ebensolchen Chor – unter AHA-Bedingungen nicht einfach zu realisieren. Natürlich braucht man auch hervorragende Solisten. Die Solopartie der Turandot gehört zu den
größten stimmlichen Herausforderungen, von der selbst Maria Callas einmal gesagt haben soll: „Turandot mordet die Prinzen und die Soprane“. Dass sich die junge italienische Sopranistin Leyla Martinucci mit ihrem Rollendebüt in Aachen an diese Partie heranwagt, verdient höchsten Respekt. „Von Eis umgürtet“, gebieterisch und unnahbar ist ihre Turandot und trotzdem zeigt sie Emotionen und ungläubiges Erstaunen, als Calaf ein Rätsel nach dem anderen auflöst. Für dessen Rolle ist mit dem Waliser Timothy Richards ein Glücksgriff gelungen. Er besitzt eine enorm kraftvolle und eindrucksvolle Tenorstimme in der Mittellage und erreicht auch extreme Höhen zuverlässig und mühelos. Sehr erfreulich ist auch das Wiedersehen und –hören mit Larisa Akbari als Liu. Die Klangfarbe ihrer Stimme passt exzellent zu den fernöstlich anmutenden pentatonischen
Melodielinien. Eine starke und überzeugende Darstellerin ist sie ebenfalls. Auf der von Elisabeth Pedross ästhetisch gestalteten Bühne findet der Chor seinen Platz in auf zwei Ebenen verteilten Apsiden, in die kleine Fenster eingelassen sind – Infektionsschutz macht erfinderisch. Die Interaktion zwischen Bühne und Graben funktioniert reibungslos und auch das aus Pandemiegründen verkleinerte Sinfonieorchester Aachen unter GMD Christopher Ward gerät nie in die Gefahr, die Sänger in den Schatten zu stellen. Die dramaturgische Herausforderung des Werkes, für die auch Puccini zu seinen Lebzeiten keine Lösung fand, besteht darin, dass das Ende ein bittersüßes ist. Die Metamorhpose der Turandot von der eiskalten Killerin zu einer warmherzigen Geliebten ist schwer vermittelbar. Ein Happy End, das keines ist. Ewa Teilmans unterstreicht diesen Aspekt bewusst, indem sie die sterblichen Überreste von Liu und Calafs Vater Timur bis zum Schluss auf der Bühne belässt – eine schwere Hypothek für eine glückliche Beziehung. Dem Aachener Theater ist mit Puccinis „Turandot“ eine großartige Produktion gelungen. Die Reaktion des Publikums: Jubel. Vertrauen Sie der Empfehlung dieses Magazins und besuchen Sie eine der noch folgenden Auffüh-
rungen! \
19.-30.3.
„Turandot“
19.30 Uhr, Bühne, Theater Aachen
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