Es ist nach Weimar, Bonn und Potsdam die vierte Bühne, die den 640 Seiten starken Erfolgsroman „Unterleuten“ zur Aufführung bringt. Einen besonderen Trumpf hat die Inszenierung der Provinzposse von Regisseur Marcus Lobbes am Theater Aachen allerdings: Chefdramaturgin Inge Zeppenfeld erarbeitete ihre eigene Drehbuchfassung und verfiel dem Kniff der Videoprojektion, die kurzweilig und witzig die Handlung vorantreibt.
„Alles ist ein Spiel!“, kommentiert Frederik Wachs, Computerspiel-Entwickler und im Roman eher nebensächliche Figur, der hier zusätzlich als Erzähler und Kommentator der Bühnenhandlung fungiert. Ein Großteil der Figuren, die im Roman eher zu weiteren Nebenhandlungen führen, wurden in der mehr als zweistündigen Inszenierung gestrichen. Geblieben sind elf Protagonisten, die im Ost/West-, Stadt/Land-Soziogramm des Dorfes Unterleuten gewichtige Rolle spielen.
Echte Sympathieträger sucht man bei den Figuren – ebenso wie in der Romanvorlage – vergeblich. Auf der Bühne des Theater Aachen überzeugen am stärksten Judith Florence Ehrhardt als Linda Franzen, die hintertriebene Pferdetrainerin, die den Wessi-Investor Meiler abzuzocken versucht, sowie Rainer Krause als Kron, ein ehemaliger LPG-Brigadeführer und Alt-Kommunist, der mit seiner Dauer-Fehde gegen den Wendegewinner Rudolf Gombrowski (Torsten Borm) die Handlung vorantreibt.
Das Bühnenbild (Ann Heine) ist eine weiße (Projektions-)fläche mit Türen und Fenstern, über zwei Etagen verteilt, aus der die einzelnen Schauspieler stetig wechselnd in Erscheinung treten. Obwohl die Handlung des Zeh-Romans genügend Tempo vorgibt – das Buch ist in sechs Teile und 62 Kapitel untergliedert – liefert hier die Drehbühne weiteren Schwung, wobei sich die Rückseite fast identisch mit etwas anders versetzten Fenstern und Türen präsentiert. Ganz im epischen Duktus des Romans enthält die Bühnenfassung viele Monologe mit spitzen Andeutungen oder Übertreibungen – das Intrigenspiel nimmt seinen Lauf.
Frederik unterbricht in kurzen Pausen und treibt mit Erklärungen zur Vorgeschichte und den Hintergründen den Handlungsfluss voran. Und dies ist auch das einzige wirkliche Dilemma der Inszenierung. Dass das Verständnis zum Fortlauf der Ereignisse, vor allem im zweiten Teil nach der Pause, für alle Nichtleser des Romans nicht immer gegeben ist. Ein angeblich entführtes Kind, Krönchen, die Enkelin von Kron, ist als Person nur virtuell existent, und wer oder was dahintersteckt, wird in hektischen Suchaktionen auf der Bühne dargestellt, die schlüssige Auflösung erschließt sich aber nicht unbedingt dem Publikum im Großen Haus.
Jede Figur steht in einem Konflikt zu den anderen, Bündnisse – es geht letztlich um den Landbesitz und die Vergabe von lukrativen Windpark-Standorten – werden geschmiedet, Weltanschauungen zerplatzen und Spieleentwickler Frederik erträumt sich mit „Traktoria nature“ nach Vorbild des Computerspielklassikers „Die Siedler“ seine virtuelle Zukunft des Dorfes zwischen traditioneller Landwirtschaft, ökologischen Vogelschutz-Aktivitäten und Windpark-Renditen. Am Schluss gibt es einen Selbstmord, die zugezogenen zwei Wessi-Pärchen verlassen wieder das Dorf. Ein Happy End gibt’s für niemanden. \rm
3., 11. (18 Uhr) + 17.3.
„Unterleuten“
19.30 Uhr, Bühne, Theater Aachen
KlenkesTicket im Kapuziner Karree
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