Von Anja Nolte
Bis zu 1.400 Menschen besuchen an Heiligabend den Gottesdienst im Aachener Dom. Nicht zuletzt der besonderen Atmosphäre wegen, zu der der Aachener Domchor maßgeblich beiträgt: Innere Ergriffenheit, nahezu atemloses Lauschen – keine Seltenheit am Vorabend des Weihnachtsfestes. Dafür wird vorab kede Menge geprobt.
„Die Musik ist kein totes Medium“, sagt Berthold Botzet. „Sie berührt.“ Vor 17 Jahren wurde der Kirchenmusiker und erfahrene Chorleiter zum Domkapellmeister am Aachener Dom berufen und leitet seitdem den Aachener Domchor sowie das Vokalensemble am Aachener Dom und die Vokalsolisten.
Zudem bildet er an der Domsingschule den Nachwuchs für den Aachener Domchor aus: mit großem Enthusiasmus und einer Leidenschaft, die begeistert. Klangvolle und bereichernde Musik an Heiligabend, das verspricht Botzet auch in diesem Jahr. So wird im Rahmen des Pontifikalamts der Eingangschor der Kantate „Erschallet, ihr Lieder!“ von Johann Sebastian Bach aufgeführt sowie weihnachtliche Motetten und Chorsätze. Mit Teilen aus der „Missa Solemnis“ von Franz Picka hat er überdies eine spätromantische Messkomposition des eher weniger bekannten Komponisten und Organisten aus Tschechien ausgewählt.
Auch das versteht Botzet als eine seiner Aufgaben: „Ideen in das Bistum zu tragen und Musik bekanntzumachen, die eben nicht Mainstream ist.“
Zeit zu proben
An gleich vier Tagen in der Woche finden die Chorproben statt, und zwar das ganze Jahr über, in den unterschiedlichen Konstellationen: Dienstags proben die Sopranstimmen, mittwochs Alt, freitags kommen zunächst alle Sänger zusammen, am späteren Abend proben die Herren dann separat weiter.
Am Samstagmorgen stehen die Knaben gemeinsam auf dem Plan. Je nach Entwicklungsstand werden die Herren dann noch mal dazugeholt, sodass die Proben auch mal bis in den Nachmittag gehen. „Das ist anstrengend, aber auch notwendig, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen“, so Botzet, der dabei aber nicht nur die Christmette im Hinterkopf hat: Geprobt wird seit Wochen auch für die feierlichen Hochämter am ersten Adventssonntag und am ersten Weihnachtstag, für das traditionelle Weihnachtskonzert im Rathaus, für die Jahresschlussandacht sowie bereits für das Karlsfest am letzten Januar-Wochenende.
Ein ordentliches Pensum, aber er könne Weihnachten ja nicht verschieben, wenn es mal an der einen oder anderen Stelle hakt, lacht Botzet: „Wenn wir alles 1.000 Mal – und das ist ganz wortwörtlich gemeint – gesungen haben, stimmen auch alle komplizierten Einsätze, und wir können zu Recht stolz auf uns sein.“ Man dürfe schließlich nicht vergessen, dass die jüngsten Chormitglieder erst neun Jahre alt sind.
Bunte Mischung
Rund 40 Herren und 50 Knaben bilden den Aachener Domchor. Auch heute, über 1.200 Jahre nach seiner Gründung, steht die musikalische Ausgestaltung der feierlichen Liturgie im Aachener Dom im Mittelpunkt, rund 50 Gottesdienste sind das im Jahr. Hinzu kommen die drei großen „Highlights“: die Aufführung der Bach-Passionen zwei Wochen vor Ostern, die chorsinfonische Gestaltung der Oktobermusik, die seit 1946 an das Kriegsende in Aachen erinnert, und das Karlsfest Ende Januar.
„Wir arbeiten wie die Berserker“, schmunzelt Botzet. Das sei auch den gestiegenen Ansprüchen der Zuhörer geschuldet, die viel stärker selektieren als in früheren Zeiten: Was schaue und höre ich mir heute an? Haydn oder Palestrina? Botzet nimmt die Herausforderung gerne an: Er bietet eine unterschiedliche Stilistik, zieht nichts einfach aus einer Schublade, sondern probiert aus.
Seine Schwerpunkte: gregorianische Kirchenmusik und Werke aus der Renaissance, aber auch neuzeitliche, moderne Musik. Letztere sei aber moderat – „Sacropop“ etwa, also von Jazz, Beat und Popmusik beeinflusste Kirchenmusik, komme nur ganz am Rande mal vor. Herausfordernd ist zudem die Fluktuation im Chor: Jedes Jahr kommen die neuen Knaben dazu, die 13- bis 14-Jährigen kommen in den Stimmbruch und wechseln in eine sogenannte „Mutantengruppe“, um dann später wieder dazuzustoßen.
Und trotzdem versucht Botzet den Erfolg jederzeit sicherzustellen. „Wir geben viel, aber wir bekommen auch viel zurück“, sagt der 56-Jährige. „Menschen lassen sich von der Musik tief berühren und tragen uns mit ihrer Begeisterung.“ \
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