Meine erste Begegnung mit dem Brockdorff Klang Labor liegt neun Jahre zurück. Als ich zum ersten Mal die WG betrat, in der Marcus Psurek aka Sergej Klang lebte, tat ich damit unbewusst einen Schritt in ihre Welt. Die 200 Quadratmeter Altbauwohnung, deren Wände mit Zeitungsausschnitten, Titanic-Covern und Flyern legendärer Partys, auf denen Hermann Heisig tanzte und Slam-Poeten ihre Lyrik vortrugen, verziert waren, sollte für die nächsten fünf Jahre meine Heimat sein.
Ich wurde unfreiwillig, aber mit größtem Vergnügen zum Probanten des Klang Labors. Viele Jahre lang schraubten sie im Probekeller unseres Hauses an Ideen und Tracks, knüpften ein Netzwerk mit befreundeten Leipziger Künstlern, das zum Label East German International führte, auf dem die ersten EPs des Kollektivs erschienen. Die CD „Mädchenmusik“, die 2007 auf dem Hamburger Label Zick Zack/What’s so funny about erschien, war da der logische nächste Schritt.
Dessen Kopf Alfred Hilsberg bringt eine beachtliche Vita mit sich. Als Förderer des Punk im Westen Deutschlands Ende der Siebziger war der Musikjournalist maßgeblich an der Formierung der Neuen Deutschen Welle beteiligt und ebnete später Bands wie Blumfeld und den Monostars den Weg.
Ein Auftritt in Shanghai
In eben jenem Spannungsfeld zwischen Dadaismus und Hochkultur ist auch das BKL zuhause. Eine Kollaboration fühlte sich da genau richtig an. Der erste Langspieler wurde ein Achtungserfolg, gefeiert von Musikpresse und Feuilleton. Eine ausgiebige Tour durch die Republik folgte, die das BKL auch nach Aachen führte.
Ein erster Auftritt im April 2007 festigte ihren Legendenstatus auch in der Kaiserstadt. Nadja von Brockdorff an Gitarre und Gesang, umgeben von Soundtüftler Ekki Labor im feuerroten Schabenkostüm und dem wild zwischen Keyboards und vorderer Bühnenkante umherspringenden Sergej Klang hinterließen einen dermaßen bleibenden Eindruck beim Aachener Publikum, dass die drei Leipziger im Herbst gleich noch einmal die Wände des Park Side zum kondensieren brachten.
Seitdem ist viel passiert im Klang Labor: Ihr Ruf brachte sie bis nach Shanghai, wo sie als Kulturbotschafter den deutschen Pavillon der Expo bespielten. Ihr Statement zur Grenzpolitik des heimischen Kontinents „Festung Europa“ gewann den 2011 von der SPEX und byteFM ausgeschriebenen Wettbewerb um den besten deutschsprachigen Protestsong.
In Hamburg bei Tobias Levin, der u.a. Tocotronic und Kreidler produzierte und mit Kantes „Zweilicht“ eines der besten deutschsprachigen Alben schuf, zogen sie ein, um die gemeinsame Arbeit nach „Mädchenmusik“ fortzusetzen. Jetzt rotiert sie in meinem Player, „Die Fälschung der Welt“, und auch viele, viele Umrundungen später entdecke ich immer noch Zitate und Referenzen aus dem Klang-Kosmos.
Guy-Ernest Debord, Autor, Filmemacher, Künstler und Revolutionär, dem der Opener gewidmet ist, Christa Wolf, deren Weisheiten das Booklet bereichern, Ingmar Bergmann, dessen „Jungfrauenquelle“ mit einem Sample gewürdigt wird – alles wirkt wohlüberlegt, ohne verkopft zu sein.
Unterm Strich steht immer noch der Hook, die Melodie, der Pop. Mit „Sad-Eyed Punk“ haben die drei sympathischen Leipziger zudem einen veritablen Smashhit am Start. „Bildet Klanglabore!“, „Dada zerschlägt die Welt, aber die Scherben sind schön“, „Der Zufall muss systematisch erforscht werden“ – einige der Zitate von damals finde ich jetzt im Innencover wieder.
Sergej Klang, Nadja von Brockdorff und Ekki Labor sind angekommen. Alles hat seinen Platz. Es gibt kein Richtiges im Falschen? Mit Blick auf die deutsche Musikszene, dem Niemandsland aus Castingbands und Bundesvisionsongcontest, hören sich BKL verdammt richtig an! ///
9.11.
Brockdorff Klang Labor
20 Uhr, Jakobshof
brockdorff.com
Karten gibt es bei KlenkesTicket im Kapuziner Karree
WEITEREMPFEHLEN