Nachahmung ist der Einstieg in ein Weltverständnis. Sie diente auch Künstlern jahrhundertelang als Basis, die Grundlagen der Kunst von „den“ Alten, nein, eher von ausgesuchten Vorbildern verschiedener Richtungen, zu erlernen. Das schuf nicht nur technische Erfahrungen und Körperbewußtsein, sondern auch Traditionen: Beharrlichkeiten überlieferter Bildwelten, Stile und Schulen. Zwischen purer Duplizierung oder Abbildlichkeit und eigenschöpferischer oder kombinatorischer Phantasie liegt die „Einfühlung“, die aus ausgedünnten historischen Überlieferungen ein lebendiges Bild der Vergangenheit zu interpretierten sucht oder wie beim Fälscher Beltracchi zur suggestiv plausiblen Erfindung führt.
Nach einer Entlarvung wird Manipulation, Fake und Betrug offenbar, beziehungsweise der Betrachter um Aspekte bereichert, die die Differenz zum Original ausmachen. Da entfaltet sich ein Spektrum an Ähnlichkeitsdifferenz, das man als Kopie, Schule, Werkstatt, Nachfolge oder Umfeld bezeichnet. Ein paar Künstler der Appropriation-Art haben es sich in den 80ern zum Konzept gemacht, durch blanke Kopie älterer Kunst noch einmal die Bedeutung von Originalität, von Copyright oder von Weltbildkultur zu thematisieren. Heute, im scheinbar allgegenwärtigen Beschönigen, Faken, Imagebilden und einem Bildrechtsverwertungsmarkt suchen mehr Juristen und Ökonomen als Künstler nach Marktwertsicherung durch Einzigartigkeit, andere sehnen sich nach Authentizität und Glaubhaftigkeit. Wie sicher ist unser Wissen? Wieviel Illusion trieb uns schon immer voran? Welche Erkenntnisse liefert das große Interpretationsspiel?
Was ändert es, wenn man nicht die Werke eines wirklichen Künstlers, sondern eines erdachten vor sich hat. Hat man daran zweifeldurchzogeneres Vergnügen, als an einer beliebigen Fantasy- oder Science-Fiction-Welt-Phantasie, die auch bloß erdacht ist und doch Rückbezüge auf unsere Gegenwartsgesellschaft ermöglicht? Neben der Illusionsstaune fasziniert dann Herr-der-Ringe-mäßig die Detailliebe, die Komplexität der Wechselbezüge. Dann wird es Kunst und hat ein Eigenleben mit ähnlichem Verweischarakter auf Aspekte des vergangenen und gegenwärtigen Daseins.
Ein Werk als Gedächtnisstütze
Dass die von Dirk Dietrich Hennig (*1967) seit 2004 erfundene Biographie, Werkdokumentation, Rezeption und Kunstproduktion von Jean Guillaume Ferrée (1926-74), die im ikob inszeniert sind, so glaubhaft den Charakter der Kunstwelt der 60er und 70er Jahre präsentieren ohne vordergründig auf Alt gemacht zu erscheinen, liegt an der Komplexität und durchdachten inneren Bezüglichkeit, die Hennig für diese 65 Arbeiten und Installationen geschaffen hat.
Dieses umfangreiche Zeitbild mit seiner notwendigen Topos-Finte, einen früh verstorbenen, missverstandenen Außenseiter mit Gedächtnisausfällen und Psychatrieaufenthalten entdeckt zu haben, wird nicht nur mit zusammengesuchtem und originalgealtertem Material der Zeit, sondern vor allem mit einem Gefühl für die seinerzeit übliche Stilistik von Collagen, gesellschaftskritischen Untertönen und biographischen Verschlüsselungen ausgeführt, die es schwer macht, darin Abweichungen und den Geist unserer Zeit zu finden, ähnlich einer historischen Filmkulisse.
Das Ganze ist natürlich eine Auseinandersetzung mit der Geschichte, mit des Künstlers eigener Jugendzeit, mit den zeitbedingten Hoffnungen und Beengungen, mit dem damaligen Kunstgebaren (aus heutiger Sicht) und erzeugt mit seinem schelmisch-behaglichen Begleitton eine eigentümliche Distanz von tiefem Ernst. Die Atmosphäre dieses privaten kryptischen Kunstkosmos wird ohne Veralberung und ohne einen Künstler beleidigen zu können, durchgehalten. Man findet einen Komplex grandios ausgearbeiteter Resonanzmittel für das Nachdenken über Kunst und Erwartungen daran, die die Auseinandersetzung, ja Nachforschung lohnt. \ dito
Die Ausstellung ist noch bis 20. November im IKOB Museum für zeitgenössische Kunst in Eupen zu sehen.
IKOB – Museum für zeitgenössische Kunst, Eupen
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