Von Dirk Tölke
Heute würde man den mehrsprachig aufgewachsenen Mann aus gutem Haus wohl einen Europäer, Netzwerker und Investor nennen. Er bewegte sich mit der politischen Neuorientierung Europas nach dem Wiener Kongress 1815 zwischen parlamentarisch-revolutionären, liberal-nationalistischen und neuaristokratischen Strömungen, kam aus einer sehr begüterten Kaufmanns- und Handelsfamilie und war sein Leben lang gut abgesichert. Berthold Suermondt heiratete in Familien führender Industriebarone (Cockerill, Pastor und Haniel) und begleitete hautnah die Industrialisierung Europas, die Zukunftsoptionen, Krisen und Risiken mit sich brachte. Er entwickelte eine persönliche Affinität zur Kunst, spezifisch zu alten und modernen westeuropäischen Gemälden und Zeichnungen ohne Bezug zur Antike.
Er war weder technisch, noch künstlerisch, noch schreibend tätig, sondern leitete einflussreiche Wirtschaftsbetriebe im Maschinenbau, Eisenbahnwesen, Bergbau, Hüttenwesen, Versicherungs- und Bankwesen als verwaltender Manager, Unternehmer, Aktionär und Planer, der sich nach kurzen Lehrjahren die kundigsten Fachberater und Mitarbeiter zu Nutze machte. Ein nüchtern liberaler Weltbürger abseits von englischem Dilettantismus, niederländischem Patriotismus, deutscher Romantik und französisch rationalem Klassizismus.
Er sammelte Gemälde mit einem neuen Qualitäts- und Originalitätsanspruch in wissenschaftsbegleiteter Kennerschaftlichkeit auf eine aufgeklärte, öffentlichkeitswirksame und marktbewußte Weise, die durchaus der Selbstadelung diente. Seine professionell aufgezogene Sammeltätigkeit managte er genauso intelligent und zielgerichtet, wie seine anderen Investitionen. Er war nutznießender Vorreiter, als sich Kunstgeschichte und Ästhetik als Wissenschaften, Kunsthandel und Museen als Institutionen zu entwickeln begannen.
Somit gehörte er zu einer neuen kultivierten Schicht einflussreicher Bürger, die noch keine wirkliche politische Macht hatten, aber das wirtschaftliche und kulturelle Leben von Stadt und Land mit dem internationalen Geist einer zukunftsorientierten Aufbruchsstimmung beförderten, aus dem sie immerhin Anerkennung gewinnen konnten und Kunst vielleicht auch schon als Wirtschaftsfaktor verstanden, zumindest als standesgemäße Bildungserfahrung. So lebte er stilvoll und in großem Stil, aber nicht großspurig, sondern durchaus mit Privatsphäre in einer Form genießenden Blicks auf Malerei, die auf Erlebnisintensitäten der Betrachtung (mit der stets bereiten Lupe) beruhte, die noch nicht durch farbige Journale oder bewegte Medien, allenfalls durch schwarzweiße Fotografien und graphische Vorlagen überlagert werden konnte.
Als Industrieller und als Kunstjäger verbrachte er einen Großteil seines Lebens in Kutschen und Eisenbahnen, pendelte zudem zwischen seinem Stadtpalais in der Adalbertstraße 55 und dem Gütern Steg und Heidgen im Aachener Wald. Ab 1852 begann er eine Kunstsammlung aufzubauen. Von Anfang an ging es um Qualität statt Quantität, um Originalität, Erhaltungszustand und über Signaturen vermutbare Echtheit, die bald nicht mehr nur auf berühmte Namen schielte (Rubens, Rembrandt, van Eyck, die er besaß), sondern nach den sich entwickelnden Kriterien der Kunstgeschichtsforschung und des Kunstmarktes und ihnen voraus „gute Unbekannte“ auswählte, etwa Johannes Vermeer. Dazu gehörte auch Öffentlichkeit, Präsentationstechnik und Bekanntheit, Briefwechsel mit Kennern europaweit, Kataloge und Besprechungen in Kunstzeitschriften.
Von dem, was er zusammentrug, verkaufte er 1874 ganze 218 Gemälde und circa 400 Zeichnungen an das Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin (heute Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz), ab 1882 bis ins Testament schenkte er der Stadt Aachen weitere 221 Kunstwerke und machte die noch historisch-archäologisch und naturwissenschaftlich ausgerichtete Sammlung zu einem erstrangigen Kunstmuseum und verändert das Bewusstsein der Bürger für Kunst. Erlesene 50 Gemälde und 22 Handzeichnungen aus beiden Sammlungsbeständen werden gemeinsam präsentiert.
Ein umfangreicher Katalog dokumentiert das Gesammelte und die Biographie des Sammlers mit neu erschlossenen Quellen. \
Vom 8. März bis 17. Juni (Eröffnung: 7. März, 16 Uhr, Adalbertkirche)
„Gestatten, Suermondt!“ Sammler, Kenner, Kunstmäzen im Suermondt-Ludwig-Museum.
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