Sollte ein Regisseur mal die Rolle einer typischen Griechin besetzen wollen, er wäre bei Maria Riga an der richtigen Adresse. Schwarze Lockenmähne, feuerrote Lippen, dazu ein rollendes „R“. Natürlich stimmt auch das Temperament: beträchtliches Minenspiel, lautes Lachen – kurz: ein einnehmendes Wesen. Seit 25 Jahren erfindet sie zusammen mit Kindern Märchen.
Nach Deutschland kam die gebürtige Athenerin für ihr RWTH-Studium der Soziologie. Eigentlich wollte sie nach England, doch in Aachen studierte der Freund. „Es war nicht London, aber die Grenznähe hat mir sehr gefallen“, sagt sie. Aus Griechenland weg ist sie unter anderem auch aus politischen Gründen. Anfang der 70er herrschte Diktatur, die Wege der Entfaltung waren begrenzt – gerade für politisch engagierte Familien wie die von Maria Riga. Der Vater, Giorgos Rigas, musste aus ebendiesen Gründen seinen Job als Schreiner bei der staatlichen Bahn aufgeben und schlug sich als Möbelspediteur durch. Selbst dann noch, als er als Maler Erfolg hatte – entdeckt wurde er von dem Stolberger Künstler Roland Mertens. Heutzutage ist Maria Riga mehrere Monate im Jahr auf internationalen Kunstmessen unterwegs.
„Ich wirke nach außen hin locker“
Anfang der 80er, kurz nach ihrem Studium, eröffnete sie zusammen mit vier Freunden ein Restaurant. Man sollte politische Themen diskutieren können und zu moderaten Preisen alles bekommen, was man den Tag über brauchte. Und man sollte Platz haben zum Tanzen und Party machen. Fündig wurden sie beim ehemaligen „Becker’s“ in der Pontstraße. Ein neuer Name war schnell gefunden, er passte gut zu Rigas griechischen Wurzeln und spielte auf die Größe und Undurchschaubarkeit des Ladens an: „Labyrinth“. „Es lief gut, wir hatten viele Stammgäste aus Kultur und Politik“, sagt Riga. Das Labyrinth bot auch vegetarisches Essen an – ein Novum, das sogar dem Klenkes eine große Geschichte wert war. Mit der Einschulung ihrer Tochter war für Riga Schluss mit der Gastronomie. „Mama steht morgens auf und ist abends zu Haus“, überrascht sie. „Ich wirke nach außen hin locker, doch mein Leben hat viel Strenge und Disziplin erfordert.“
Ihre Passion für das Märchenerzählen hatte sie zu der Zeit schon entdeckt. Einige Jahre vorher wollte sie auf einer langen Fahrt in den Frankreich-Urlaub die Tochter ihres Lebensgefährten ablenken. Sie dachte sich spontan Geschichten aus – Märchen. „Kinder sind ein sehr kritisches Publikum und ernst bei der Sache.“ Von da an gehörte das Geschichten-Ausdenken zum Alltag im Hause Riga. Irgendwann las sie in der Zeitung, dass die Aachener Stadtbibliothek Geschichtenvorleser sucht. Sie meldete sich und wurde Ehrenamtlerin. Das ist jetzt rund 20 Jahre her. Zur Erklärung: In ihrer Märchenstunde werden keine bestehenden Märchen vorgelesen: an jedem Termin entstehen zusammen mit den Kindern neue Geschichten, ist die Stunde vorbei, zerplatzt der Traum, bis er beim nächsten Mal wieder neu entsteht. „Ich habe nie etwas aufgeschrieben, es sind alles Unikate. Vergängliche Unikate.“
Diese Erzählstunden waren immer sehr wichtig für Riga, haben sie durch viele schwere Stunden gebracht. „Das Erfinden von Märchen hilft, den alltäglichen Problemen für kurze Zeit zu entfliehen“, beschreibt sie es. Man bekomme eine andere Perspektive, lernt zu unterscheiden, was wichtig ist und was nicht. Und sie scheint das zu wissen: „Hätte ich noch einmal die Wahl, welchen Weg ich einschlagen soll: ich würde alles wieder so machen.“ \ Sebastian Dreher
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