Bilder aus Amerika und unser Amerikabild sind wesentlicher Inhalt einer großangelegten Überblicksausstellung über den Hyperrealismus, die als gemeinsame Anstrengung aller vom früh zugreifenden Sammlerehepaar Ludwig ausgestatteten Museen unzählige der großformatigen Werke zusammengetragen hat. Wunderlicherweise erstmals werden dabei zeitgenössische Fotografien der 60er und 70er Jahre mit den auf Fotografie bezogenen Werken des Hyperrealismus zusammen gezeigt. Die bartstopppeligen überkopfgroßen Porträts von Chuck Close machen deutlich, dass das Foto als zeitgenössischer Vermittler von Realität und nicht die Wirklichkeit selbst thematisiert wird, denn die Tiefenunschärfe des Fotos ist mitgemalt und nicht korrigiert. Mit Videos und Polaroids wurde zunehmend der private und öffentlich unterdrückte Bereich der Wirklichkeit und des Weltgeschehens öffentlich zu Kunstwerken und Werbung modifiziert oder ins heimische Fernsehgehäuse gespült. Frontbilder des Vietnamkrieges, Szenebilder der Subkultur, private Personen, individuelle kulthaltige Vorlieben wie spiegelnde Käferkarosserien, Pinups, Stars aus Film, Funk und Fernsehen, menschenleere Architektur- und Einkaufskulissen – all das hat Bilder in den Köpfen entstehen lassen.
Alles eine grosse Traumfabrik
Der Blick auf die Welt und das marktbeherrschende und technologiegeplusterte Weltpolizistenamerika hat sich seitdem verändert. Wieviel Bild-Klischee ist noch übrig über dies Land, von dem wir angeblich immer nur das schlechte übernehmen. Ein bigotter, prüderiegetränkt demokratischer political-correctness-Zensurstaat mit Rassenproblemen, Körperkult, Warenfetischismus, Antiraucherhysterie, Europaferne, kulturignoranter Selbstgefälligkeit, opferbereiten Sektenseelen, Familienbewußtsein und übermächtiger Waffenlobby, Ölmultis, Terrorismusangstmache und Internetüberwachungsgier, bei der man sich nicht mehr vor Lachen googled? Alles eine große Traumfabrik, in der Hollywood und die Simpsons disparate Auffassungen im Land der Freien in üblicher Meltingpot-Mischung vorweisen. Auch in der Kunst wurde neben der Alltagskultur das private Bild und die individuelle Weltsicht in den 70er Jahren öffentlich wirksam. Die Ausstellung dokumentiert Zeitgeschichte und die Dokumenta 5 (Befragung der Realität – Bildwelten heute), die 1972 zur Wendemarke wurde. Zugleich übernahmen Foto und Film die Führungsrolle in der Bildbeeinflussung von der bildenden Kunst. Raumfahrt und beginnender Umweltschutz ließen uns in neuer globalisierter Distanz die Welt als verwundbaren Planeten sehen. Was in dieser Ausstellung in zusätzlich geschaffenen Nischen und mit einem umfangreichen Begleitprogramm mit vielen Filmen geboten wird, ist eine saftige und von technisch hervorragenden Werken geprägte Zusammenstellung, die es ermöglicht, unser Bild der Welt und Amerikas zu rekapitulieren. Dabei wird die Betrachtung nicht auf die Hauptphase um 1970 eingeengt, sondern mit zeitgenössischen Realisten weitergeführt. Ein Hingucker, der viele Hingucker verdient. Hip, Hippie, Hyper, Hurra.
Dirk Tölke
13.3. – 19.6.
Hyper Real – Kunst und Amerika um 1970
Ludwig Forum für internationale Kunst
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