Mehr als 2.000 Frauen. Genauer gesagt sind es 2.065. Alle von Leporello fein säuberlich für seinen Chef Giovanni in ein Notizbuch eingetragen und nach Aussehen und Charaktereigenschaften sortiert. Nein, man kann in diesen Zeiten eine Aufführung von Mozarts „Don Giovanni“ nicht besuchen, ohne an all die Weinsteins, Cosbys, Spaceys und Wedels zu denken, mit ihrem ganzen Übermaß an Testosteron und ihrem Mangel an Anstand und Respekt, gefahrvoll kombiniert mit einem dekadenten Macht- und Besitzergreifungsanspruch.
Auch in der Inszenierung am Theater Aachen ist die Luft testosteronhaltig, obwohl (oder besser gesagt weil) Regisseur Joan Anton Rechi die Szenerie beider Akte in ein von Bühnenbildner Gabriel Isignares entworfenes Museum verlegt und eine Vernissage als Handlungsrahmen vorgesehen hat. Bei den Ausstellungsobjekten handelt es sich nämlich ausnahmslos um Skulpturen und bildliche Darstellungen von unbekleideten Männern unter besonderer Hervorhebung ihrer Fortpflanzungsorgane. Und auch hierbei gehen die Gedanken zu den weniger rühmlichen Entwicklungen der #MeToo-Debatte und der Frage, was wir aus unseren Museen noch alles entfernen und von unserem literarischen Erbe noch alles löschen werden. So kann ein Opernbesuch derzeit einen fulminanten Einstieg für abendfüllende und leidenschaftliche Diskussionen bieten. Vor allen Dingen, weil der unersättliche Verführer und Frevler Don Giovanni ein „Edelmann“ ist (oder zu sein behauptet) und somit Sinnbild für die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Eliten unserer Tage.
„Don Giovanni“ ist Mozarts düsterste Oper. Trotzdem hat der Librettist, Da Ponte, sie als klassische opera buffa, als komische Oper, angelegt, wenngleich dies in werktreuen Inszenierungen häufig kaum sichtbar wird. In Aachen ist dies anders. Rechi greift lustvoll zum Slapstick: So wird der von Giovanni erschlagene Komtur nahezu den gesamten ersten Akt über mitgeschleppt – Hitchcocks Harry lässt grüßen. Und auch die legendäre Höllenfahrt Don Giovannis gerät bei Rechi zu einer „Verwicklung“ der besonderen Art. Wer ein Faible für schräge Inszenierungen hat, kommt also auf seine Kosten.
Ein wenig schade ist allenfalls, dass die drei Segmente der Drehbühne bereits im ersten Akt dekuvriert werden und für den etwas sperrigen Beginn des zweiten Aktes keine besonderen bühnentechnischen Überraschungen mehr bereitliegen. Bei der Personenführung neigt Rechi nicht zu Experimenten. Lediglich Leporello, eigentlich Giovannis Diener und moralischer Gegenpart, erfährt eine gewisse „Umetikettierung“ als komplizenhafter Freund.
Die musikalische Umsetzung kann, ohne dass man ins Schwärmen geraten würde, als gelungen bezeichnet werden. Das Sinfonieorchester Aachen war unter dem Dirigat von Justus Thorau tadellos disponiert und fand in der Post-Premieren-Aufführung eine angepasste Dynamik zu den Stimmen auf der Bühne. Stimmlich solide waren auch die Solopartien. Hrólfur Saemundsson in der Titelrolle und Woong-jo Choi als Leporello wussten zudem auch darstellerisch zu überzeugen.
Die hinreißende Suzanne Jerosme stach in der Partie der Zerlina unter den Frauen stimmlich heraus. Inspiriert zu seiner Inszenierung wurde Rechi übrigens durch die Ausstellung „Nackte Männer“, die 2012/13 im Leopold Museum Wien präsentiert wurde und die empörte Reaktionen hervorgerufen hat. Davon war das Aachener Publikum weit entfernt. \ Ulrich Herzog
4.,9.,16.,18. + 29.3
„Don Giovanni“
verschiedene Uhrzeiten,
Bühne, Theater Aachen
KenkesTicket im Kapuziner Karree
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