Auch beim Richtfest für das zukünftige Haus der Identität und Integration sprachen Vertreter von Politik und Verwaltung davon, dass in Aachen im Umgang mit Migranten in der Vergangenheit viele Themen ausgeblendet worden sind. Welche, wollte der Klenkes wissen und sprach darüber mit Günter Schabram (Grüne), Sozialdezernent der Städteregion Aachen.
Welche Fehler hat die Politik beim Thema Integration in der Vergangenheit gemacht?
Damals wurden die Einwanderer aus Südeuropa als Arbeitskräfte angeworben, weil Deutschland sie dringend in der Industrie gebraucht hat. Der erste Fehler bestand darin, diese Menschen nicht als Menschen wahrzunehmen, sondern eben als Arbeitskräfte. Damit hat man ihre Biographien und Bedürfnisse ausgeblendet. Der zweite Fehler bestand darin, zu glauben, dass die Gastarbeiter wirklich Gäste sind, die hierher kommen, arbeiten und dann wieder nach Hause fahren. Auch das ging an der Lebenswirklichkeit vorbei. Und drittens ist unsere Gesellschaft davon ausgegangen, wenn die Einwanderer bleiben und Kinder und Enkelkinder bekommen, dann würden die Menschen automatisch assimiliert. Die Probleme würden damit sozusagen von Generation zu Generation rauswachsen.
Was hat sich seitdem verändert?
Heute herrscht zumindest politischer Konsens darüber, dass Integration gestaltet werden muss. Sie erledigt sich nicht von alleine und ist eine Herausforderung für beide Seiten, die Migranten und die Deutschen.
Die aktuelle Debatte scheint dennoch zu zeigen, dass die Probleme und der Gesprächsbedarf sehr groß sind.
Für die größeren Städte wie Aachen ist Integration ein Dauerthema. Der aktuelle Hype ist aber sicher Teil des Medienechos auf Sarrazin, der die Debatte in unglaublicher Form, meiner Meinung nach in rassistischer Form, zugespitzt hat. Dabei ist das Buch, und die düstere Untergangsthese „Deutschland schafft sich ab“, in aller Munde und gleichzeitig ganz weit von der Wirklichkeit entfernt. Deutschland hat im Vergleich mit anderen Ländern viel weniger Probleme mit Integration und ist wirtschaftlich und kulturell auf einem aufsteigenden Ast.
Das ist Ihre Sicht. Reden Sie damit die bestehenden Missstände nicht klein?
Nein. Natürlich kenne ich die Schwierigkeiten in manchen Vierteln. Es mag in Einzelfällen passieren, dass deutsche Kinder an Schulen mit hohem Migrantenanteil angemacht werden. Aber diese Probleme werden aufgebauscht, zum Beispiel von unserer Familienministerin Schröder oder von der BILD-Zeitung. Einzelfälle taugen für kurze Einspieler bei Talkshows, bilden aber nicht die Realität in der Gesamtheit ab. Die Stimmung, die sich breit macht, hat weniger mit den echten Problemen zu tun, als mit einem anderen bekannten Phänomen. Wenn Menschen sich marginalisiert vorkommen, wenn sie soziale Ängste haben, dann suchen sie einen Sündenbock. Und den findet man bei schwächeren Gruppen. Das können Arbeitslose sein, Behinderte, Hartz 4-Empfänger oder eben Migranten.
Wurden die tatsächlichen Probleme – gerade auch von den Grünen – zu lange tabuisiert?
Kritisch sehe ich heute, dass wir Grünen „Multikulti“ ganz hoch gehalten haben als Gegenpol zur Ausländerfeindlichkeit, dabei aber die problematischen Seiten zu lange ausblendeten. Das war sicherlich auch der Zuspitzung in Wahlkämpfen geschuldet. Es stimmt, dass nicht in der Breite diskutiert wurde. Wir haben es versäumt, in der Integrationsdebatte unaufgeregt über alle Sachthemen zu sprechen. Ich glaube aber nicht, dass es heute zu viele Tabus gibt. Sehen Sie sich den SPD-Bürgermeister von Neukölln an, der wie viele andere schon sehr lange Klartext redet. Und in Aachen haben wir schon vor drei Jahren ein Integrationsmonitoring eingeführt, um genau die Sachfragen auf einer vernünftigen Ebene angehen zu können. Heute würde ich statt Multikulti auch eher auf einen anderen Begriff setzen: Inklusion. Das bezeichnet die Haltung, Menschen in ihrer Vielfalt als wertvolle Teile der Gesellschaft zu betrachten. Alle Menschen.
Ist das nicht einfach nur ein weiteres Etikett? Statt Multikulti nun Inklusion?
Ich denke, es ist ein anderer Ansatz. In Aachen hat jeder dritte Bürger einen Migrationshintergrund. Wenn wir ein Drittel der Gesellschaft links liegen lassen, als Bürger, als Kunden, als Arbeitskräfte, dann haben wir verloren – kulturell, wirtschaftlich, demokratisch. Inklusion bedeutet, diese Menschen mit ihrem Anderssein einzubeziehen. Ein Prozess, zu dem es übrigens überhaupt keine Alternative mehr gibt. Wir leben im Hier und Jetzt.
Was bedeutet das konkret für Aachen?
Bei der Stadt Aachen haben wir zum Beispiel eine große Einbürgerungsveranstaltung ins Leben gerufen. Das ist sehr gut angekommen. Dann haben sich Stadt und Städteregion mit der Unterzeichnung der Charta der Vielfalt verpflichtet, aktiv Diversität zu managen. Dazu gehört, dass man gezielt mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in die Verwaltung holt, auch ins Ordnungsamt oder ins Ausländeramt. Die Stadt wirbt unter anderem in Moscheen bei Jugendlichen dafür, sich für eine Ausbildung zu bewerben. Daneben gibt es noch viel mehr Maßnahmen in der Stadt und der Städteregion.
Was können Sie mit dem Begriff „Integrationsverweigerer“ anfangen?
Ich stelle einen immer größer werdeneden Konsens unter Deutschen wie Ausländern fest, dass Integration enorm wichtig ist. Alle Integrationskurse, die wir anbieten, sind proppenvoll. Wir sollten uns lieber Gedanken darüber machen, wie wir voran kommen. Dazu gehört für mich auch, dass wir idiotische Integrationsverweigerer wie z.B. deutsche Rechtsextremisten oder islamistische Gottesstaatsanhänger politisch bekämpfen. /// lbm
Zur Person
Günter Schabram ist als Sozialdezernent der Städteregion unter anderem für das Ausländeramt zuständig. Zuvor leitete der 57-Jährige das Sozialamt der Stadt Aachen und war über viele Jahre Ratsherr und Fraktionsgeschäftsführer der Grünen in Aachen. So hat er sich im Laufe seiner politischen Biografie immer wieder in unterschiedlichen Positionen sehr praktisch mit dem Thema Migration und Integration auseinander gesetzt.
Text: Lutz Bernhardt
Foto: Klenkes Archiv.
Einwandererfamilie in Aachen, 1978. Günter Schabram: „Wir haben die Menschen nicht als Menschen wahrgenommen, sondern als Arbeitskräfte“
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