„Damals gab es keine Zeit, so wie es in der Erinnerung keine Zeit gibt. Es war nur der Sommer, in dem wir unten am Fluss waren, Forellen fingen, und ich dachte, dass sich nie etwas ändern würde“. Der Klappentext zu Ferdinand von Schirachs neuem Buch „Kaffee und Zigaretten“ klingt nach einem Coming-of-Age-Streifen und der Titel – ehrlich gesagt – auch.
Doch davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Tatsächlich ist es ein deutlich persönlicheres Werk als seine Vorgänger, in denen von Schirach das Leben und seine Menschen stets in den Metaphern, der von ihm selbst durchlebten oder für wegweisend befundenen Rechtsfälle, umkreist.
Diese Bücher machten den Strafrechtler und späteren Schriftsteller weltweit berühmt, der Daily Telegraph hielt Schirach schon 2013 für „eine der markantesten Stimmen der europäischen Literatur“.
Kaffee und Zigaretten ist eine Sammlung aus (fast ausschließlich neuen) Kurzgeschichten, Aphorismen, Beobachtungen, Gedanken und Erzählungen mit einem, für den bisher sehr auf seine Privatsphäre bedachten, von Schirach ungewöhnlich autobiographischen Charakter.
Auch wenn er nicht durchgehend in der Ich-Form schreibt, so scheint doch durch, was die feine und oft melancholische Sprache vermuten lässt: Bei dem depressiven jungen Mann aus der ersten Erzählung muss es sich um ihn handeln, den bayerischen Jesuitenschüler, den Enkel des NS-Reichsjugendführers Baldur von Schirach.
Auch letzterer, der in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil seines Enkels zu sein scheint, taucht in „Kaffee und Zigaretten“ wieder auf. Vielleicht geht die vorsichtige, interessierte und beobachtende Menschlichkeit Ferdinands auf diesen Gegenentwurf, den Kriegsverbrecher Wiener Gauleiter seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit, zurück. Das Damoklesschwert des Stammbaums stets vor Augen.
Kunst, Politik, Recht und Unrecht. Ferdinand von Schirach ist ein ebenso meisterhafter Beobachter wie Schriftsteller. Zwischen Mick Jagger und Alain Delon, Horst Mahler und Otto Schily, Paris und Rio de Janeiro, alten Freunden und neuen Bekannten erstreckt sich das Leben eines Menschen, der uns viel über eben dieses zu sagen hat.
Und obwohl keines der Kapitel im Gerichtssaal stattfindet, ist es doch wieder: ein kompromissloses Plädoyer für den Rechtsstaat und die unantastbare Würde des Menschen.
Am 3. April wird Schirach im großen Haus des Theater Aachen aus seinem neuen Werk lesen. Darüber hinaus wird er einen Vortrag über die „Aufklärung“ halten, ohne welche seine Bücher undenkbar sind und ohne die sie vielleicht nie eine solche Popularität gewonnen hätten. \ lm
3.4.
Lesung und Vortrag –
Ferdinand von Schirach
19.30 Uhr, Theater Aachen
KlenkesTickets im Kapuziner Karree
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