„Das Stück könnte auch ,Sprechfolterung‘ heißen.“ Das sagte der Autor Peter Handke selbst über sein 1968 im Frankfurter Theater am Turm uraufgeführtes Stück. Am 11. Mai 1968 war das. Und damit an genau jenem Tag, an dem der Sternmarsch auf Bonn gegen die Notstandsgesetzgebung stattfand. Das Stück des damals erst 25-jährigen Handke galt schon kurz nach der Uraufführung als Klassiker des neuen Theaters. Das Fachmagazin „Theater heute“ wählte es zum Stück des Jahres 1968. Eben weil es die aufrührenden Zeiten rund um die Studentenrevolte so gut aufgreift.
Redekaspar
Aber warum ist das Stück repräsentativ für die unruhigen Zeiten Ende der 1960er-Jahre? Kaspar – nicht nur Name des Stücks, sondern auch die Hauptperson – erinnert nicht von ungefähr an den rätselhaften Findling Kaspar Hauser, dessen Geschichte bis heute ungeklärt ist. Als 16-Jähriger wurde er in der Stadt aufgegriffen, die Jahre zuvor hatte er wohl in einem Verlies verbracht. Gänzlich unbehelligt von der Gesellschaft, konnte er weder richtig sprechen, noch waren ihm die gesellschaftlichen Statuten vertraut. Auch Peter Handkes Kaspar scheint unverbraucht. Auf die Bühne in der Mulde des Ludwig Forum taumelnd (starke Leistung: Annette Schmidt), ist er nicht mal in der Lage, seine Schuhe zu binden. Und er hat nur einen Satz: „Ich möcht ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist.“
Innerhalb von 16 Phasen, die dem Zuschauer auf einer Leinwand angezeigt werden, wird der Redekaspar nun von fünf Personen (Jochen Deuticke, Mona Creutzer, Barbara Portsteffen, Anton Schieffer und Svenja Triesch) gedrillt. Mittels Sprachsalven wollen sie das dumpfe Wesen Kaspars zu einer bewussten Person machen, ihn für die Gesellschaft dressieren und ihn schließlich zerstören. „Einsager“ nennt Handke diese Personen. Anonyme Persönlichkeiten, die nichts weiter charakterisiert, als dass sie Kaspar mit Wörtern und Grammatik drillen. Ihn durch die öffentliche Ordnung der Sprache zum angepassten Sprechen und Leben bringen. Ihre Satzmodelle sind Mittel der Disziplinierung und Herrschaft. Und irgendwie auch eine Folterung, nicht nur für Kaspar, sondern auch für das Publikum.
Als Kaspar fast willenlos ist, er sich für eine Einstellung in die Gesellschaft bewerben möchte und er sich die Schuhe binden kann, wird die Folterung unterbrochen. Durch eine Einmischung aus dem Publikum. Gerade zum rechten Zeitpunkt. Wer will schon angepasst sein und nicht selbst denken? Kaspar schafft den Absprung. Ohne zu viel verraten zu wollen: Das Theater K inszeniert inmitten der Ausstellung im Ludwig Forum ein Stück, das stellenweise anstrengt. Und am Ende anregt. Zum selber denken und die Gesellschaft anzuzweifeln. Nicht nur 1968, auch 50 Jahre später. \ cr
5., 7., 8., 12., 14., 20. + 21.7.
„Kaspar“
20 Uhr (8.7. 17 Uhr), Ludwig Forum für Internationale Kunst
www.theater-k.de
WEITEREMPFEHLEN