Eine der wenigen Sachen, die man in der Vorweihnachtszeit bis Mitte Dezember erledigt haben sollte, ist ein Besuch in der „Plattenbörse“ auf der Theaterstraße. Jedenfalls, wenn man etwas mit Musik, Menschen und deren Geschichten anfangen kann…

Die Geschichte der Plattenbörse führt uns zurück ins Jahr 1981. Es gab noch keine Computer, Playstations oder Handys und das Fernsehen war mit damals nur drei Programmen schon unsexy. Man hatte unvorstellbar viel Zeit und Geld für Jugendrebellion und Musik. Punk hieß das Wort der Stunde. Reinhold Reising, der mit einem Kumpel das Würselener Café Casablanca führte, war schon damals bekannt dafür, dass er Gästen, die ihren Deckel nicht zahlen konnten, alternativ ihre Plattensammlung in Zahlung nahm. Als er dann auf einem seiner zahlreichen Plattenflohmärkte erstmals über tausend Mark an einem Tag einnahm, stand die Idee, die Plattenbörse zu eröffnen.

27 Jahre und gefühlte vier bis fünf Musikrevolutionen später steht man einem jung wirkenden  56-jährigen gegenüber, der von Beatles bis Techno alles immer mittendrin erlebt hat. Entspannt legt er zum Interview ein paar Platten auf und lässt ohne viel Wehmut nochmal die letzten drei Jahrzehnte Revue passieren.

„In den Boom-Jahren von New Wave, so Mitte der 80er, habe ich von einer neuen Sisters of Mercy oder New Order gleich mal 50 Exemplare verkauft, heute unvorstellbar. Die Anzahl der Leute, die noch Tonträger bei mir kaufen, steht leider im umgekehrten Verhältnis zur Konkurrenz durch Großkonzerne und Internetvertrieben mit ihren legalen und illegalen Download-Foren. Es lohnt sich einfach nicht mehr.“

Jemand fragt nach der neuen Rammstein, die seit gestern auf dem Index ist, sofort entflammt ein Gespräch aller Anwesenden darüber, ob Reinhold die Platte jetzt über oder unter der Ladentheke verkaufen darf. Ihm ist es im Grunde egal, der Käufer ist wie fast alle über 30, „Junge Leute kaufen ja fast gar keine Platten mehr“. Ein Vertreter vom Independentvertrieb Indigo kommt vorbei und direkt ins Gespräch mit einem Stammkunden, der noch fünf bis zehn Alben die Woche kauft. Man kennt sich, und weiß, dass man zu einer aussterbenden Spezies gehört. Der Plattensammler, der persönliche Vertreter und der Einzelhändler, der noch Zeit und das Knowhow hat, seine Kunden zu beraten. Nie ungefragt, immer nüchtern mit Abstand. Eben wie jemand, der schon viele Hypes und Szenen  kommen und gehen gesehen hat, eben wie Reinhold Reising.

Aber wie geht es weiter, wenn er selber geht? „Ach, erst mal bin ich froh, wenn alles raus ist. Vielleicht arbeite ich ein bisschen ehrenamtlich als Sozialpädagoge“.  Oder in einem Plattenladen? „Nee, ganz bestimmt nicht. Obwohl, wer weiß, wenn ich nächstes Jahr so durch die Läden streife und den Geruch von Vinyl vermisse…“