Im Gespräch mit Regisseur Florian Hertweck, Chefdramaturgin Inge Zeppenfeld und dem musikalischen Leiter Malcolm Kemp erfährt Klenkes-Redakteurin Christina Rinkens, wer auf die geilen Songs steht, wie man für den Frieden musiziert und wann es Zeit ist, den Arsch hoch zu kriegen.
Ein Ausblick
Der 28. Januar 2017. Menschen strömen aus dem Theater, ziehen randalierend durch Aachen. Gebäude brennen. Irgendwo steht ein Junge mit einer Gitarre und stimmt ein Friedenslied an. So in etwa stellt man sich die Auswirkungen eines Stück über Protest vor – allen voran Florian Hertweck, Regisseur des Stücks „Nicht mit uns“.
„Nicht mit uns“ ist nicht nur eine Uraufführung, sondern auch ein Experimentierfeld. Fest steht bisher, dass es sehr musikalisch wird. Denn darum geht es: „Wir plündern 64?1/2 Jahre abendländische Protest(song)geschichte.“ So steht es in der Ankündigung. Halt, also nur Protestsongs ab 1951? „Das ist eine Provokation. Wir wollen prüfen, wie weit das Protestgedächtnis zurückreicht. 50 oder 100 Jahre wären zu klar abgegrenzt gewesen. So fragen sich die Leute: 1951? Was soll das denn? Und schon geht das Denken los“, erklärt Dramaturgin Inge Zeppenfeld.
Zauberland ist abgebrannt
Die Idee für diesen etwas anderen Abend am Theater Aachen entstand vor ziemlich genau einem Jahr. Das Theater beschäftigte sich gerade mit den Planungen für die neue Spielzeit, da demonstrierten am 13. Dezember 2015 erstmals rund 170 Pegida-Anhänger in Aachen. Outgesourced an den Tivoli. Rund 2.500 Aachener trafen sich bei einer Gegen-Kundgebung am Elisenbrunnen.
„Das hatte etwas von vorweihnachtlicher Selbstvergewisserung und Gemütlichkeit“, sagt Zeppenfeld, „und das war mir persönlich zu wenig. Am Tivoli standen Pegida-Gegner, die wiederum gar nichts zustande gebracht haben. Nicht einmal ein Protestlied. Das fand ich definitiv schwach. Der Protest gegen jegliche Art von Missständen ist heute individueller, fragmentierter und komplizierter.“ Und Regisseur Florian Hertweck fügt hinzu: „Das ist ein bisschen wie bei Monthy Python, wer ist man eigentlich, die Judäische Volksfront oder die Volksfront von Judäa?“
Protest drücke man deshalb im digitalen Zeitalter mit dem Unterzeichnen einer Online-Petition aus. Ein Fingerklick. „Musik schafft da noch mal eine ganz andere Energie“, erklärt Dramaturgin Inge Zeppenfeld. Und so ist man gerade dabei, einen Pool von Songs zusammenzustellen, die einen rebellischen Protestcharakter transportieren. „Wir fragen uns: Was ist ein Protestsong, wie viel Inhalt kann man aus einem Popsong rausquetschen?“, so Regisseur Florian Hertweck.
Basis-Demokratie
Wie unterschiedlich die Definition eines Protestsongs ausfallen kann, zeigt sich auch bei den Proben, die seit einer Woche laufen. „Kaum haben wir uns auf eine Songauswahl geeinigt, fliegen wieder 30 Vorschläge raus, 30 neue kommen hinzu“, erzählt Malcolm Kemp, der für die musikalische Inszenierung verantwortlich ist. Das komme vor allem daher, dass jeder Beteiligte ganz andere Vorstellungen von Protest hat.
„Der eine empfindet Beyoncé als feministische Vorkämpferin, der andere besteht auf die Klassiker von John Lennon oder Jimmy Hendrix und wieder andere schlagen Songs von Florian Silbereisen oder Silbermond vor“, sagt Regisseur Hertweck.
Weil es eben eine sehr musikalische Inszenierung wird, die von einer normalen Theatervorstellung abweicht, sind auch die Schauspieler auf eine andere Art gefordert. Denn jeder von ihnen singt.
So sind etwa Philipp Manuel Rothkopf oder Karl Walter Sprungala beteiligt, die zuletzt bereits in „West Side Story“ beziehungsweise „Als ich einmal tot war und Martin?L.?Gore mich nicht besuchen kam“ stimmliches Talent bewiesen. „Uns haben nicht nur die größten Gesangstalente überzeugt, sondern auch die Schauspieler mit anarchischer Energie“, erzählt Hertweck.
Protestschiff
„Es wird keine durchgehende Story geben, wie man das sonst gewohnt ist“, so Inge Zeppenfeld, „aber doch Figuren und Mikro-Geschichten.“ Jeder Song wird zur kleinen Geschichte, ob als Monolog oder Dialog. „Die Schauspieler sind in der Lage, den Song mit einer besonderen Haltung zu verbinden, ob das Rückzug oder Angriff ist“, erklärt Regisseur Florian Hertweck.
Eine Rahmenhandlung wird es trotz allem geben. Ausgangslage ist ein Schiff. Es spiegelt gesellschaftliche Strukturen: Den Kapitän, die Besatzung, das heißt die Leichtmatrosen, den rebellischen Koch und die Meuterei.
Außerdem auf der Bühne: Die vierköpfige Band von Malcolm Kemp, die auch schon an der Inszenierung von „Der Meister und Margarita“ in der vorletzten Spielzeit beteiligt war. „Unser Plan ist es nicht, die Songs einfach zu covern, sondern die Lieder neu zu interpretieren“, so Malcolm Kemp.
„Das macht Malcolm mit seiner »Geile-Songs-Waffe« - aus guten Songs, bekanntem oder auch unbekanntem noch „geilere Songs“ zu machen“, erzählt Florian Hertweck. „Wenn man im Anschluss nach Hause geht und denkt „War das ein geiler Song“ und beim Nachschlagen entdeckt, dass er von Rammstein ist, dann haben wir unser Ziel erreicht.“
Protesttreiben
Ob sich die wilde Fantasie von Regisseur Hertweg realisiert und nach der Premiere tatsächlich Häuser in Aachen brennen, wird sich zeigen. Die Ziele von Chefdramaturgin Inge Zeppenfeld sind deutlich unaufgeregter: „Ich will keine Randale, aber zum Diskutieren und vor allen Dingen Handeln motivieren. Den Zustand der Lethargie verlassen, den Arsch vom Sofa hochkriegen und loslegen.“
Und Malcolm Kemp? „Ich war schon immer eher der Gitarre spielende Junge für den Frieden.“ \
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