Von Kira Wirtz
Die Soers: Gute Luft, Wildbäche, Bauernhöfe, jede Menge Grün und ein für Aachener Verhältnisse seltener, unverbauter Blick. Und das nur wenige Minuten von der Innenstadt entfernt. Und mittendrin liegt das -Aachener Tuchwerk. Ein Standort für Kultur und Geschichte. Oder eher ein ambitioniertes Projekt Kultur, Wissen und Soziales miteinander zu verbinden. An Aachen als Textilstandort zu erinnern und einen Gemeinschaftsort zu schaffen. Paul Bardenheuer ist Geschäftsführer der Tuchwerk gGmbH und einer von nur zwei Angestellten der gemeinnützigen Gesellschaft. Er erklärt, wie der Standort Tuchwerk funktioniert, auf wen oder was er angewiesen ist und wie die Zukunft aussehen könnte.
Zunächst Mal: Den Standort Tuchwerk – in seiner heutigen Nutzung – gibt es seit 2012. Er befindet sich in der Stockheider Mühle und liegt am Strüverweg in der Soers bei Aachen. Die ehemalige Mühle wurde bereits im 13. Jahrhundert als Kupfermühle erwähnt, zwischen 1891 und 1983 als Färberei und für die Ausrüstung von Stoffen der Tuchfabrik Becker verwendet und bis zuletzt als Lager genutzt. Seit 2012 setzt sich der Verein Tuchwerk Aachen für eine neue Nutzung des Geländes als Wohn-, Arbeits- und Kulturraum ein. Mieter sind zum Beispiel der Tuchwerk e.V., das Theater K, das Sozialwerk Aachener Christen sowie ein Musikpsychologe, unterschiedliche Künstler, ein Polsterer, eine Textilerin und seit kurzem ein Puppentheater. Damit sich der Standort stetig weiterentwickelt und sich für ein breites Publikum öffnet, braucht es aber noch mehr als ambitionierte Mieter.
Vor allem sind es die Ehrenamtler, die sich für Ort, Leute und Geschichte einsetzen. Bardenheuer ist für die Koordination verantwortlich. Einerseits ist es schön zu sehen, wie ein so engagiertes Projekt wachsen kann, andererseits ist das harte Arbeit.
Wer mit wem?
Seit 2012 ist Bardenheuer bereits dabei, betreut die unterschiedlichen Aufgaben, managt alles, von der Büroarbeit über die Koordination der Mitarbeiter bis zur Veranstaltung verschiedener Events. Er füllt Förderanträge aus, telefoniert mit städtischen Mitarbeitern, betreut die Mieter. Und apropos Mieter: Hier wird alles vermietet, was irgendwie nutzbar ist. Sei es ein Stellplatz, eine Schrauberwerkstatt, ein Atelier, Wohnraum oder eine Theaterbühne. „Als ich hier angefangen habe, war schnell klar: Das wird hier kein Projekt mit einem großen Plan, Start- und Endzeitpunkt“, erklärt Bardenheuer. „Vielmehr haben wir immer wieder neue kleinere und größere Baustellen, die wir angehen. Als letztes haben wir die Pförtnerloge saniert. Ehrenamtler und rund 20 Flüchtlinge, die über ein betreutes Projekt wieder in einen Job herangeführt wurden, haben den Großteil der Ausführungen übernommen.“
So eine Koordination von vielen Freiwilligen und Teilnehmern von Sozialprojekten macht Bardenheuer besonders stolz. Viele der Menschen aus diesen Projekten kommen auch nach dessen Ende wieder und engagieren sich ehrenamtlich. Sie gewinnen Kontakt zu anderen Menschen, haben eine Aufgabe und lernen besser Deutsch. Das Tuchwerk als Ort ist also mehr als nur die Bewahrung der textilen Erinnerung, es führt Menschen in eine neue Zukunft. Das gilt auch für viele deutsche Ehrenamtler, die eine neue Aufgabe suchen und sie im Tuchwerk gefunden haben. Viele der Mitarbeiter, die sich um die Wartung der alten Textil-Maschinen kümmern, haben früher in der Textilbranche gearbeitet und sind jetzt froh, ihr Wissen wieder anzuwenden.
Mit- und Füreinander
„Außerdem haben wir den Sozialcharakter der Margarete-Lorenz-Stiftung beibehalten und vier ehemalig unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nach Vollendung des 18. Lebensjahres hier Wohnraum angeboten.“ Und diesen nutzen sie seit einem Jahr.
80 Prozent der gesamten Gewerbe-Fläche – ungefähr 5.000 Quadratmeter – werden derzeit bereits vermietet. „Allerdings vieles mit Mindernutzung. Natürlich gab es auch Ideen, einen Teil der alten Tuchfabrik hochwertig zu restaurieren und dann teuren Wohnraum zu schaffen. Ein Loft in einer alten Fabrik, acht Fahrminuten von der Innenstadt mit einem wunderbaren Blick ins Grüne. Eine schöne Idee. Aber nicht Sinn und Zweck, den Ort Tuchfabrik zu beleben. „Der Ort funktioniert wie er funktioniert. Mit diesen Menschen, die hier leben und arbeiten.“
Langfristig soll sich das Projekt über die Mieteinnahmen finanzieren. Noch läuft das meiste über Förderprojekte, private Spenden und eine kleine Unterstützung von Seiten der Stadt. „Der Ort wird wirklich schon gut angenommen. Bei schönem Wetter sitzen viele der Mieter zusammen draußen auf ihren Klappstühlen, die Ehrenamtlichen kommen auf einen Kaffee vorbei. Aber der Standort muss sich erst noch einen Namen machen, damit auch Ausflügler oder andere interessierte den Weg zum Strüverweg finden.“
Zukunftsvision
Ein Ziel für die nächsten zehn Jahre wäre daher in Bardenheuers Augen, der Ausbau der alten Halle zur Straße hin mit der Öffnung der großen Fenstern und immer wechselnden Ausstellungen. Bardenheuer kommt ins Schwärmen, wenn er an die nächsten möglichen Schritte denkt. „Man könnte die Räume dann auch für Betriebsfeiern oder andere Feste vermieten, dadurch würden auch immer mehr Menschen den Ort kennen und schätzen lernen.“ Auch wäre eine Sanierung des Teiches dringend notwendig und könnte mit einer kleinen, vielleicht auch mobilen Außengastro Ausflügler anlocken. Der Teich ist so groß, dass darauf sogar ein paar Bötchen fahren könnten. „Vielleicht keine großen Tretboote, aber zumindest so kleine Modellboote wie in New York auf dem See im Central Park!“
Wenn man einen Blick auf den zugewucherten Teich wirft, fragt man sich unwillkürlich, wieso das Projekt noch nicht angegangen wurde. Antwort: Kosten. Wahrscheinlich wäre es wesentlich billiger, den See einfach trockenlegen zu lassen. Aber das will Bardenheuer keinesfalls. „Es sagt doch jeder, dass Aachen Wasser fehlt. Und hier gibt es die Möglichkeit, den alten Färbeteich in ein kleines Naherholungsgebiet zu verwandeln. Die Chance sollte nicht vertan werden.“
Um den Teich noch besser an das Gelände anzubinden – momentan gelangt man nur über die Straße heran –, wäre eine Öffnung des Geländes zum Teich hin optimal. „Das würde prima neben der alten Ruine klappen. Die wollen wir übrigens in ihrem Zustand belassen.“
Dass der Ort mittlerweile auch als Treffpunkt genutzt wird – wenn auch nicht so häufig, wie Bardenheuer es sich wünscht – beweisen Events wie Textilflohmärkte, Festivals, Theaterpremieren und Geburtstagsfeiern, die unterschiedliche Zielgruppen anlocken. In diesem Jahr kommt noch das Open Air-Kino „NRW-Filmschauplatz“ hinzu. Aber auch bei diesen Veranstaltungen ist Vorsicht geboten. Neben den eigenen Mietern gibt es in der Soers auch noch jede Menge andere Bewohner, die die Ruhe schätzen. „Deshalb ist bei uns bei Großveranstaltungen auf den Außenflächen um 22 Uhr Schluss“, wirft Bardenheuer ein. Private Feiern dürfen natürlich länger gehen. Auch bei den Theater-Premiere-Feiern ist um die Zeit gewöhnlich noch nicht Schluss.
Und so entwickelt sich der Standort Tuchwerk immer weiter. Ohne strengen Zeitplan. Hier ticken die Uhren noch ein bisschen anders als drei Kilometer weiter in der Stadt. Und das ist auch gut so. Dadurch behält sich das Tuchwerk seinen Charme und verbindet langsam aber stetig Wissen mit Kultur. „Wir betreiben dieses Gelände eben mit dem Ziel, die denkmalgeschützte Industriebrache zu einem Denkmal der Aachener Textilindustrie zu entwickeln, die Vergangenheit nicht zu vergessen und darin eine kulturelle Nutzung für jedermann zu ermöglichen“, betont Bardenheuer nochmal. Ungezwungen und einfach ein bisschen anders. \
Nächste Events
Ab dem 8. September zeigt das Theater K im Maschinenraum das Endzeitdrama „Utopia Maschina XXL“.
Immer dienstags von 14 bis 17 Uhr ist das Maschinen-Depot geöffnet. Der Rundgang „Von der Flocke zum Tuch“ stellt die Maschinen der Sammlung vor.
Am 9. September ist die Tuchfabrik im Rahmen des „Tag des offenen Denkmals“ geöffnet.
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