Von Klaas Tigchelaar
Auf dem neuen Album „Couleur“ haben Fjørt nicht nur ihren brettharten Sound weiter ausdefiniert, sondern finden auch textlich eine deutlich direktere Ansprache.
„Ich bin so müde vom Zählen, ich habe 1933 Gründe schwarz zu sehen. Doch egal wieviel da kommt, ich hab’ alles was ich brauch’, denn die 1933 Gründe, ihr habt sie auch.“ Diese Textzeilen aus dem Song „Raison“ von der neuen, dritten Platte werden die Jungs jetzt erstmal begleiten. Weil sie ein deutliches Statement zum Unbehagen in einem sich politisch verändernden Land sind. Und weil die Band von Chris Hell, David Frings und Frank Schophaus sich damit textlich aus der metaphorischen Ecke herauswagt, und mehr als andere deutschsprachige Post-Hardcore-Bands eine Meinung vertritt. „Es war abzusehen, dass auch diejenigen bei der Bundestagswahl gewählt werden, die anderen, speziell notleidenden Menschen in diesem Land keinen Raum lassen wollen“, erklärt Bassist und Sänger David.
„Es ist eine sehr krasse Situation, dass jetzt erstmals seit 1945 wieder Nazis im Parlament sitzen.“ Die Fans sehen das sicherlich genauso. Aber wie erreicht man mit solch einer dringlichen Botschaft die unwissenden und ängstlichen Protestwähler und die rechten Aggros?“ Es ist wichtig, Multiplikatoren zu bilden, damit die Zuhörer das auch in ihren Freundeskreis und ihr Arbeitsumfeld hinaustragen. Im besten Fall führt es dazu, dass Sprüche wie:“‚Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber …“ einfach nicht mehr geduldet werden“, ist David überzeugt. Vom „Zitat-Gebashe“ in den sozialen Medien hält er nichts, weil es nach seiner Meinung nichts bringt. „Wir müssen wieder in den Dialog treten und haben dazu als Künstler auch eine moralische Pflicht. Ich würde mir sehr wünschen, dass Helene Fischer das mal tun würde.“
Veränderte Hörgewohnheiten
„Couleur“ rüttelt aber nicht nur an der Frage der politischen und sozialen Positionierung. Auch musikalisch hat das Trio sich weiter intensiviert, und sich auch für sphärische Instrumentalparts geöffnet, die in dieser Selbstverständlichkeit vorher eher von Bands wie Mogwai geliefert wurden. Trotzdem bleibt es eine schwierige Gratwanderung, musikalische Intensität mit geschrienen deutschsprachigen Texten und einer gewissen technischen Anspruchshaltung weiter authentisch zu verfolgen – bis jetzt ist aber alles mehr als gut gegangen. „Wenn es in Deutschland nicht so viele gute Autonome Zentren, Kneipen und Bars geben würde, die eigenverantwortlich Konzerte organisieren, hätten wir diesen Status wohl nie erreicht“, so David.
Er bezieht sich damit auch auf die veränderten Hörgewohnheiten, die dazu geführt haben, dass sie jetzt auch ein Publikum erreichen, dass bei „solcher Musik“ vor einigen Jahren noch weggehört hätte. „Bands wie Escapado, Yage oder die Eaves aus Aachen machten Anfang 2000 laute, harte und doch musikalische attraktive Musik, sind aber nie aus ihrem kleinen Musikbereich rausgekommen, weil sich damals nicht genug Leute dafür interessiert haben.“ Ausverkaufte Konzerte sind zumindest für Fjørt mittlerweile keine Seltenheit mehr, die Läden und Bühnen werden größer, die Touren umfangreicher, und trotzdem sind Großstädte wie Berlin oder Hamburg als Lebensmittelpunkt keine Option, ist Sänger/Gitarrist Chris überzeugt: „In solchen Städten würden wir uns eher verlieren, als die Zeit zu finden, um gute Musik zu machen. Wir sind nicht so die Highlife-Leute, und fühlen uns deshalb sehr wohl im verschlafenen Aachen.“
Wenig verschlafen war indes die Idee zu einem Facebook-Livestream für das neue Album (der noch bei Youtube zu finden ist). Im September wurde eine 25-minütige Video-Session mit neuen Songs gedreht, im charmant-spukhaften Jugendstil-Hotel „Waldlust“ in Freudenstadt im Schwarzwald. Obwohl das um 1900 erbaute Hotel seit 2005 geschlossen ist, kann man die immer noch möblierten Räumlichkeiten bei geführten Besichtigungen anschauen. Auch ein Horrorfilm („Bela Kiss – Prologue“) wurde hier 2013 gedreht. Das passt optisch wie inhaltlich sehr gut zu Fjørt, die weiter stetig ihren eigenen Weg gehen.
Unprätentiös, ehrlich, intensiv und ohne konkrete Gedanken darüber, wie es mit der Band in Zukunft weiter zu gehen hat. Fjørt lassen sich treiben und haben zugleich ein Auge auf das, was um sie herum passiert. Denn nur so kann man den Spaß an der Band, und alle unangenehmen geschäftlichen Verpflichtungen, die damit einhergehen, wohl langfristig im Gleichgewicht halten. \
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