Alexandra ist 79 Jahre alt. Seit Jahrzehnten lebt sie in einem Haus mit Blick auf einen wunderschönen Baum, dem „Grund, warum ich morgens aufstehe“, wie sie selbst sagt. Sie liebt es dort zu leben, ist glücklich und kommt gut zurecht – auch wenn sie manche Dinge vergisst, sich zum Beispiel nicht erinnern konnte, wer die Bilder an ihrer Wand gemalt hat, bis ihr einfiel, dass sie selbst einst die Künstlerin war.
Auch konnte sie einmal den Weg vom Einkauf nach Hause nicht mehr finden, doch sieht sie darin noch nicht den Grund, in „ein Heim für betreutes Wohnen“ zu ziehen, wie es sich zwei ihrer drei Kinder, Michael und Jennifer, wünschen. Das Haus ist ihr heilig, hier fühlt sie sich wohl und ist auch „gerne allein“ – der Gedanke ständig umsorgt zu werden, widerstrebt ihr. Das können Sohn und Tochter nicht verstehen, wollen die Mutter in Sicherheit wissen und zum Umzug in ein Altenheim bewegen.
Für Alexandra keine Option! Stattdessen verschanzt sie sich im Haus und droht es mithilfe alter, hoch entzündlicher Entwicklerflüssigkeit ihres verstorbenen Mannes in die Luft zu jagen, wenn sie nicht in Ruhe gelassen wird. Jetzt kann nur noch einer helfen: der jüngste Sohn Chris, der ein genauso freiheitsliebender Mensch ist wie seine Mutter und sich daher in ihre Lage versetzen kann.
Durchs Fenster steigt er zu ihr ein und das Stück „Herbstrasen“ von Eric Coble, das am 1. Juni seine Premiere im Grenzlandtheater feierte, beginnt. Es ist ein intensives Zwei-Personen-Stück, Renate Fuhrmann und Jens Woggon in den Rollen von Mutter und Sohn bringen große Emotionen auf die Bühne – die Schilderung eines hautnah erlebten Fahrradunfalls rührt zu Tränen. Das Thema älter werden, steht im Fokus, doch auch über die Liebe, Erziehung und Kunst machen sich die beiden Gedanken.
Und natürlich über die Freiheit, das Unabhängigsein und Zukunftsängste, die jeden einmal quälen. Das Grenzlandtheater bekam die Chance der deutschen Erstaufführung des Stücks, eine Ehre, die Intendant und Regisseur Uwe Brandt stolz macht. Über das Vertrauen des Verlags dem Theater gegenüber freut er sich sehr.
Es war die richtige Entscheidung: Auf der Bühne in der Elisengalerie ist ein Stück zu sehen, das einen nicht so schnell loslässt. Alexandras Erkenntnis „Zeit ist das Kostbarste, was wir besitzen“, hatte man noch auf dem Nachhauseweg im Kopf – genauso wie das Vorhaben, gleich morgen noch einmal bei Mama anzurufen. \#sim
bis 6.7.
„Herbstrasen“
20 Uhr Grenzlandtheater
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