Eine Frau spricht am Telefon das letzte Mal mit ihrem Verflossenen. Sie plaudert unverfänglich und lügt über das Kleid, das sie gerade trägt. Dann weint sie und erzählt von ihrem Suizidversuch. Wie ein angeschossenes Tier wälzt sie sich durch ihr Zimmer. Die Stimme des Angerufenen ist für den Zuschauer nicht zu hören. Francis Poulencs Oper „La Voix Humaine“ nach einem Stück von Jean Cocteau erzählt vom Ende einer Liebe, dem Nicht-mehr-verbunden-sein und der Verzweiflung und Ohnmacht einer verlassenen Frau.
In der Inszenierung von Clara Hinterberger und Tommy Wiesner ist es nicht eine Frau, die sich in einem letzten Gespräch durch ein Schlachtfeld aus Eitelkeiten und verletzten Gefühlen kämpft, es sind drei: Sopranistin Suzanne Jerosme leidet so elegisch, so traurig, wie man nur auf Französisch, wie man nur in der Oper leiden kann. Schauspielerin Stefanie Rösner leidet bitter. Wie jemand, der alles auf eine Karte setzte und verlor. „An ein gutes Ende habe ich nie geglaubt und jetzt zahle ich teuer“, sagt sie und man bekommt den Eindruck, sie sagt es mehr zum Publikum als zum Geliebten am anderen Ende der Verbindung. Am Piano werden die beiden durch Younghee Hwang begleitet. Sie ergänzt den wehmütigen französischen Gesang und das hier harte, dort brüchige Deutsch Rösners durch ein zerbrechliches Koreanisch.
Die Frauen tragen dieselben schwarzen Anzüge, sie sind verschiedene Anteile derselben Frau, oder verschiedene Frauen, die dasselbe Schicksal teilen. Zu Beginn liegen sie als Kokons auf einem Bühnenbild, das selbst raumgreifendes Kunstwerk ist. Wie ein Spinnennetz ist es von Strippen durchspannt. Es sind Bänder, die sie verbinden: miteinander und mit der anderen Stimme. Die Frauen zerren an den Bändern, halten sich verzweifelt an ihnen fest, verwirren sich, wickeln sich in ihnen ein wie in das Gespräch, das sie führen. Es ist ein Versuch, sich aus einer Beziehung zu lösen, in deren Fäden man sich verheddert hat. Die Frauen finden nur schwer wieder heraus.
Doch sie leiden gemeinsam, verbinden sich im Laufe des Stücks immer mehr miteinander. Beginnen sich zuzuhören, sehen sich an, trösten sich, streichen sich über das Gesicht wie zwei, die sich erkennen. Und wie sie sich entblätterten, so entblättern sie auch das Bühnenbild. Sie befreien es von weißen Laken, bis nur noch nackte und spiegelnde Oberfläche übrig geblieben ist: Die Frauen sehen sich mit sich selbst konfrontiert.
Am Ende bleibt das Stück eine gelungene und moderne Übersetzung. Zurück bleibt nicht das Klischee der verlassenen, einsamen und ohnmächtigen Frau. Durch geschickte Nutzung des Bühnenbildes, durch Interaktion von Gesang, Musik und Sprache bleiben die Frauen nicht allein, nicht hilflos und nicht unverstanden. Das Stück selbst bleibt kein einsamer Monolog, sondern wird zu einem gelungenen und intimen Gespräch zwischen Theater, Oper und Installation. Obwohl sie verschiedene Sprachen sprechen, verstehen sie sich hervorragend. Es lohnt sich, dieses letzte Gespräch zu belauschen. \⇥kkr
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