Von Annick Meys
Andreas Coenen hat in diesen Tagen kaum eine ruhige Minute. Der 46-Jährige muss zusehen, dass bis zum Wochenende jedes noch so kleine Detail geklärt ist. Alles soll glatt laufen, wenn die Kaiserstadt Tattoo Expo am Freitag Premiere feiert.
Andreas Coenen ist ein massiger Typ, tätowiert bis auf die Fingerspitzen. Einer, in dessen Gegenwart man sich sicher fühlt. Aber auch einer, mit dem man sich besser nicht anlegen sollte. Er lächelt freundlich. Zur Begrüßung reicht er zuvorkommend die Hand.
Es ist kurz vor Feierabend. Vor 19 Jahren hat Andreas Coenen in der Sandkaulstraße das Studio aufgemacht: „The Sinner and the Saint“. Acht Tätowierer arbeiten hier auf vier Etagen. Das Haus hat der 46-Jährige vor ein paar Jahren gekauft. Er selbst wohnt auf der obersten Etage – zwischen großformatigen Zeichnungen legendärer Tätowierer aus aller Welt. Originale, Einzelstücke, Raritäten. Und massenweise Literatur.
Seit wie vielen Jahren tätowieren Sie schon?
Professionell seit 22 Jahren. Ich habe schon vorher ein bisschen herumprobiert, aber ziemlich schnell kapiert, dass man zum Tätowieren besser eine Ausbildung haben sollte.
Wie sind Sie überhaupt zum Tätowieren gekommen?
Ich habe schon immer viel gezeichnet und wollte etwas Kreatives machen. Mit 19 habe ich mir mein erstes Tattoo stechen lassen. Ich wusste sofort: Das ist genau mein Ding. Dann habe ich mir ein Starterkit gekauft und gleich losgelegt. Ich habe zuerst an mir selber geübt. Das war eine Katastrophe. Ich wusste ja noch nicht einmal, wie ich die Nadel vorbereiten muss. Ich habe dann eine Ausbildungsstelle in einem Studio in Mönchengladbach bekommen. Dort habe ich alle Basics gelernt, und irgendwann war ich soweit. Dann habe ich den Laden aufgemacht. Das war 1997. Damals war es gar nicht so einfach, ein geeignetes Ladenlokal zu finden. Heutzutage reißt sich jeder Vermieter darum, aber damals gab es wenig Menschen, die einem Tätowierer ein Ladenlokal vermieten wollten. Aber irgendwie habe ich wohl einen guten Eindruck gemacht.
Sie sagten, dass Sie an sich selber geübt haben. Ist das üblich?
Klar. Einem Tätowierer, der nicht an sich selbst geübt hat oder nicht tätowiert ist, dem sollte man nicht trauen.
Wieso nicht?
Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, als Tätowierer nicht tätowiert zu sein. Die rechtfertigen das damit, dass sie noch nicht das richtige Motiv für sich gefunden haben. Totaler Bullshit. Du wirst Tätowierer, weil du bereits schwer tätowiert bist und weil du es geil findest. Das ist ja so, als würde sich ein Gitarrist nicht für Musik interessieren. Das sind Menschen, die mögen vielleicht sogar gut tätowieren, aber sie machen es ohne Herz. Tätowieren ist ja nicht nur, Bilder auf die Haut zu bringen. Tätowieren ist eine Kultur. Leider interessieren sich die meisten Tätowierer nur noch in sehr geringem Maße für das Tätowieren an sich. Wenn man zum Beispiel eine gewisse Farbe verwendet, sollte man auch wissen, woraus sie besteht, welches Pigment sie enthält und wie haltbar es ist. Die meisten kaufen einfach Flaschen und machen sich keine Gedanken darüber. Ich bin da ganz anders. Mein ganzes Leben besteht aus nichts anderem.
Was fasziniert Sie so am Tätowieren?
Es hat sehr viel Power. Es ist für immer. Ich mag die Vorstellung, dass etwas für immer bleibt. Das ist es ja, was viele nicht verstehen: Zum Beispiel die Leute, die sich vor ein paar Jahren ein Arschgeweih haben stechen lassen und es heute bereuen. Damals fanden sie es geil. Dann vergehen zwei Jahre und es kommt jemand, der sich darüber lustig macht, und auf einmal finden sie ihre Tätowierung nicht mehr gut. Das hat ja dann nur die Haltbarkeit einer Jeanshose. Dann sollte man sich fragen, ob diese Leute überhaupt kapiert haben, was eine Tätowierung ist. Nämlich etwas, das für die Ewigkeit bestimmt ist. Hinzu kommt, dass Tätowieren ja damals viel subkultureller war, viel weniger Mainstream und viel weniger akzeptiert als heute. Dementsprechend war es natürlich auch viel reizvoller. Es war halt mal richtig cool.
Ist es das heute nicht mehr?
Doch, es ist immer noch cool, aber das Tätowieren war vor 25 Jahren nicht so, wie es heute ist. Als ich mir meine erste Tätowierung auf den Unterarm habe stechen lassen, vor 23 Jahren, da war ich in meinem Bekanntenkreis der einzige mit einer Unterarmtätowierung. Selbst meine besten Freunde haben mich für verrückt erklärt. Ich würde mir meine Zukunft ruinieren, haben sie gesagt. In der Tat hättest du mit einer Unterarmtätowierung keinen vernünftigen Job bekommen, wenn du sie nicht verdeckt hättest. Selbst ein Handwerker hätte dich nicht eingestellt. Heutzutage hat die Kassiererin im Supermarkt die Hände tätowiert. Es schaut dich heute niemand mehr schief an, weil du tätowiert bist. In der Zeit, aus der ich komme, war das der Grund, warum du dich hast tätowieren lassen. Ich wollte, dass die Menschen Abstand von mir nehmen. Das war Rebellion. Es war damals einfach spannender.
Das hört sich fast ein bisschen wehmütig an …
Eigentlich nicht. Das Tätowieren ist unheimlich gewachsen und als Kunstform gereift. Das künstlerische und technische Niveau war noch nie höher. Du hast heute einfach einen anderen künstlerischen Anspruch, was für mich die Sache natürlich interessanter macht. Früher kam eine Tätowierung auf den Oberarm oder das Schulterblatt, damit man sie nicht sieht und grundsätzlich musste ich sie noch einmal um zehn Prozent verkleinern. Heute lassen sich die Leute gleich den kompletten Arm tätowieren. So kann sich auch der Tätowierer total entfalten. Ich habe nie zuvor so viele Tätowierungen gemacht, die genau mein Ding sind. Das ist auch wieder ein Vorteil der Zeit heute: Wir haben eine sehr große Stilvielfalt. Früher musstest du als Tätowierer alles machen. Du konntest dir nicht erlauben, dich auf einen bestimmten Stil festzulegen. Wenn heute ein Kunde in den Laden kommt, kann man ihm den Tätowierer empfehlen, der seinen Wunsch am besten umsetzen kann. Dadurch entsteht wieder eine Verbesserung. Wenn du viele Sachen machst, die in deinem Gebiet sind, dann kannst du dich mit diesem Gebiet einfach viel besser auseinandersetzen.
Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
Ich mache größtenteils westlich-traditionelles Tätowieren, was man oldschool nennt, und japanisch inspirierte Sachen.
Geht es dabei um bestimmte Motive?
Schlangen, Tiger, Panther, Adler, Dolche, Rosen – so etwas mache ich gerne. Es geht aber weniger um Motive, sondern darum, wie man ein Motiv umsetzt, zum Beispiel die Linienführung und die Art der Schattierung.
Was macht Ihrer Meinung nach einen guten Tätowierer aus?
Ein guter Tätowierer setzt sich mit dem Tätowieren auseinander und macht Tätowierungen, die langlebig sind, die auch in 30 Jahren noch gut aussehen. Kennst du diesen Farbrealismus? Das ist das Schlimmste, was das Tätowieren jemals hervorgebracht hat. Das sind Tätowierungen, die sehen nach fünf Jahren schon nicht mehr gut aus.
Weshalb?
Die haben keine Substanz. Beim Tätowieren gibt es Farben, die halten länger als andere. Schwarz ist am haltbarsten. Bei klassischen Tätowierungen hast du eine klare schwarze Linienführung. Selbst wenn du alle Farben herausnimmst, hast du immer noch ein Bild. Beim Farbrealismus gibt es keine Linien. Die Tätowierungen bauen auf Farben auf, die nicht besonders lange halten. Wenn sich die Farben auflösen, dann löst sich das ganze Bild auf. Das ist ein bisschen wie Kreidemalerei auf der Straße, wenn es anfängt zu regnen.
Haben Sie schon mal Kunden weggeschickt?
Ja, wenn Kunden mit einer Idee kommen, die ich nicht umsetzen kann oder möchte.
Zum Beispiel?
Es lässt sich nicht jede Idee so umsetzen, wie der Kunde es sich vorstellt. Rassistische Dinge mache ich auch nicht.
Die skurrilste Idee, die Sie jemals tätowiert haben?
Ich habe ein paar Kunden, die sehr verrückte Tätowierungen haben, einfach sehr irre Ideen. Ich habe mal einen Reifenabdruck von einem ganz bestimmten Reifen quer über den Rücken tätowiert. Das war schon strange. Die Geschichte dazu habe ich vergessen. Das ist lange her, weit über zehn Jahre. Ich glaube, es war sogar jemand aus der belgischen Eifel.
Welche Tätowierer bewundern Sie?
Einen meiner Mentoren, Marcus Pacheco, über den ich letztes Jahr ein Buch veröffentlicht habe. Dann ein Freund von mir, Scott Sylvia. Ich könnte endlos fortfahren. Allen voran natürlich Ed Hardy.
Bei Ed Hardy denke ich direkt an dieses prollige Modelabel…
Dieser Typ, Christian Audigier, der sich selber als Modedesigner bezeichnet hat, aber eigentlich nichts anderes als ein Marketing-Genie war, der hat den Namen und die Designs gekauft, ein Modelabel aufgebaut, die Marke ausgeschlachtet und dann verschwinden lassen. Ich bezweifele, dass irgendjemand, der diese Klamotten getragen hat, überhaupt weiß, wer Ed Hardy ist.
Erzählen Sie doch ein bisschen über ihn.
Ed Hardy ist der wichtigste Tätowierer der Neuzeit. Er war der erste, der wirklich künstlerisch gearbeitet hat. Die meisten Tätowierer in den 1930er und 1940er Jahren konnten überhaupt nicht zeichnen. Wer eine Tätowierung wollte, hatte die Auswahl zwischen vorgefertigten Motiven. Im besten Fall konnte man sich die Farben aussuchen, das war‘s. Ed Hardy war der erste, der Tätowierungen nach Kundenwunsch gezeichnet hat. Er tätowiert heute zwar nicht mehr, aber er malt noch sehr viel.
Und im Rahmen der Convention wird es eine Ausstellung geben?
Ja. Es gibt eine Ausstellung mit Zeichnungen von Ed Hardy aus fünf Jahrzehnten. Es ist die erste Ausstellung dieser Art in Deutschland. Das ist schon eine Sensation. Ed Hardy selbst wird leider nicht anwesend sein, aber dafür sein Assistent und sein Sohn, der auch auf der Convention tätowiert.
Was erwartet die Besucher auf der Convention?
Es ist eine Convention, die sich ausschließlich ums Tätowieren dreht. Es wird keine Stripshow, keine Böhse-Onkelz-Coverband und keine Preisverleihung geben. Stattdessen werden über 100 wahnsinnig gute Tätowierer aus der ganzen Welt da sein. Manche waren noch nie in Europa. Das ist eine einmalige Gelegenheit, sich eine tolle Tätowierung abzuholen. Das „Tätowier-Magazin“ hat geschrieben: Besser geht es nicht. So ist es halt.
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