Romain van Wissen ist ein Choreograph der Kontraste, der die Konfrontation der Farben und der Bildelemente sucht, aussucht und steigert. Wesentliches Merkmal ist die kontrastreiche Koexistenz disparater Bildelemente in einem Verfahren, das verschiedene Schichten überlagert, die in einem spannungsreichen Gegensatz zu einander und zur Erwartung des Betrachters stehen. Farbkräftige Zeichnungen oder Konturnotate mit Tropfspuren sowie plakativ gemusterte Stanzformen irritieren die Betrachtung der realistischen Landschaftsräume des „Hintergrundes“. Diese malerische Collagetechnik ist nicht rein digital durch Scannen, verschieben, überlagern und filtern zu erreichen.
Der Versatzstückrealismus dieser Werke vermag die Widersprüchlichkeit seiner Welterfahrung zu vermitteln: Die pluralistische Unmenge von Informationen, Botschaften und Seherfahrungen, die uns täglich umgibt, in den auch ohne Zappen schon zerstückten Medien und geschnittenen Filmen, in den hintereinander folgenden Bildwechseln von gelesenen Journalen und Comics und den in sie unterbrechend eingebrachten Werbefeldern oder in den Abfolgen von Erlebnissen durch schnelle Fortbewegungsmittel wie Autos, Züge oder Flugzeuge. Wer will all dies erfassen, ohne sich zu Zettelkastenlogistik oder selektivem Blick durchzuringen.
Erfährt man die Welt noch als Einheit oder ist diese eine Illusion von Zusammenhanghaftigkeit, die man den einzelnen und disparaten Erfahrungsbruchstücken unterlegt, die eigentlich isolierten Erfahrungsspuren entstammen? Davon könnten die Arbeiten Zeugnis ablegen, sind keine bloße Verfremdung oder surreale Ausgeburt traumhafter Unbewusstheit. Sie sind ein zusammengebasteltes Weltbild, aber eines, das die losen Enden sichtbar lässt und sich zur Irritiertheit und zu einer Ist-Situation bekennt, ständig auf einem Weg der Verknüpfung und Neuintegration von Wahrnehmungserfahrungen zu sein, die sich mit Schlüssigkeiten und Plausibilitäten begnügen müssen. Der Lebensweg als fortlaufender Umbau der Erfahrung mit durchaus stabilem realistischem Kern.
Das ist kein von der Welt gemachtes Bild, das festumrissen erscheint und alles ausblendet, was nicht hineinpasst, aber es ist ein alle Landschaftsformen abhandelndes zyklisches Programm und ein speziell ausgerichtetes, individuelles Weltbild, eine Bildkonstellation, die Zusammenhänge herstellt und diese der Seherfahrung der Betrachter anbietet. Die kombinatorische Phantasie ist reichhaltig und behält doch einen atmosphärisch ähnlichen wiedererkennbaren Gestaltkern auf dem Weg, als Fragmentebündelung neue Zusammenhänge zu stiften.
In diesen Wahrnehmungssequenzen wohnt durchaus romantische Versenkung, ruhige Tiefe, präzise Beobachtung inne. Die einzelnen Landschaftsräume sind wiedererkennbares Terrain, durchforsten die Kategorien Berg, Meer, Küste, Wald und Flachland, sind aber keine klassischen Postkartenmotive, keine Tourismuswerbung, kein Wohntraumgebiet, sondern einsame Landschaft, Industriebrache, empfindliche Natur, zernutztes Arreal und schlichte Gegend. Auch hier bleibt sich van Wissen der schon beschriebenen Überschichtung des realen und als gefährdet anmutendem und zu genießendem Landschaftskerns mit fragmentarischen Versatzstücken zeitgenössischer Bildmuster treu: abstrakten Formen, decollagierten Bildschnipseln, industriellen Farben, Musterware, aber weder Dekor, noch Bildbrei. Das ist eine Auffassung von Alltagskultur jenseits von Pop-Art-Schönung. Das ist durchaus schätzenswerter Alltag oder die Suche danach, was das eigentlich ist. Zumindest ist das Bildgut von Romain van Wissen gute Malerei. Höhepunkt seiner ersten musealen Einzelausstellung ist die Installation „I believe I can fly“ (2017), die in Form eines Rundbildes die Weltsicht des Künstlers zeigt.
Als Höhepunkt der Vernissage wird um 16 Uhr 30 der international gefeierte Musiker Pierre Bastien im IKOB auftreten, möglich durch Kooperation mit dem parallel im Alten Schlachthof stattfindenden Musikfestival „Meakusma“ (mehr Infos siehe Seite 13).
Von Dirk Tölke
13.9.-19.11.2017
(Vernissage 10.9., 15 Uhr)
Romain van Wissen – „Who is in the house“
IKOB – Museum für zeitgenössische Kunst
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