Von Dirk Tölke
Rein äußerlich zeigt Dirk Schulte Fotografien und Assemblagen, flache Objektkästen mit überarbeiteten Fundstück-Konstellationen, die durch ihre armen Materialien an Arte Povera und an Joseph Beuys erinnern, dessen Geschichte für den Künstler noch nicht zu Ende erzählt ist.
Die mit verrissener Kamera in gerichtete Unschärfe getauchten Feld-, Wald- und Wiesenaufnahmen haben in ihrer Paranormal-Ästhetik erzählerischen Flair. Gewöhnliche Natur, aufgeladen als Nachtspaziergang oder Wanderung eines Weißtuches wird Teil einer Geschichte, statt Momentaufnahme. Irreale Geschichten begleiten auch drei Objekte, die wie durch einen überlangen Titel in einen Erzählraum eingebettet werden, der über die formale Betrachtung hinausgeht und realen Fragmenten der Wirklichkeit in empfindungsreicher Phantasie neue Zusammenhänge anvermählt. Die Arbeiten sind keine bloßen Hirngespinste oder Zettelkastencollagen, sondern beziehen sich auf die Gegenwart, die voller Fragen, seltsamer Erfahrungen und unklarer Empfindungen steckt.
Die Stimmungslage von wehmütig wacher Intellektualität und zurückhaltender Offenheit der assoziativen Andeutung wirkt durch das hochglanztechnikfreie Gewordensein des Materials als allgemeingültige distanzierte Rückschau mit melancholiegenässtem Augenzwinkern. Die eingesetzten Mittel sind weder nur alt oder historisch, noch archaisch, sondern stiften durch ihre Benutztheit, Farbspur und Fragmentierung eine besondere Entrücktheit. Mehr humorvolles Angebot, als sendungsbewußte Provokation nutzt Dirk Schulte das Konzept von Beuys, Unscheinbares mit Bedeutung aufzuladen. Als komponierender Musiker, der Töne arrangiert und als Schriftsteller, der Worte zusammenfügt oder im Gedicht aufs Wesentliche ausdünnt – beides ist er auch –, gilt es auch hier, den Klang zu treffen, die Resonanz zu erwirken, ganz nüchtern auch zu konstruieren und sich nicht treiben zu lassen, also der Beliebigkeit durch Festhalten der präzisen Sinneserfahrung kompositorische Stabilität im Bild zu geben.
Die Arbeiten machen keine konkreten Aussagen, sondern öffnen zielgerichtete Denkräume, sind Denkanstöße, ja geradezu Denkproben in präparathafter Darreichungsform und formelhafter Zusammenstellung, die im Dialog mit dem Betrachter vergegenwärtigen, dass hier Themenkomplexe verstanden werden wollen. Grundfragen klingen an, die mit dem Woher und Wohin, mit Freiheit und Entscheidung zu tun haben. Sehnsucht schwebt über den Arbeiten, die mit den Mitteln von Collage, Informel und Spurensuche sensibel ausgetüftelte Denkbilder erzeugen, die zwischen wissenschaftlichem Schaubild, Altartafel und typographischem Arrangement schweben.
Die Wirkung von Nähe, Größe und Gegensätzlichkeit schafft neue, der Lebenswirklichkeit verpflichtete Zusammenhänge aus Realien, Resten, Funden, Relikten, Überbleibseln, Farbmaterie, Torsi, Fetzen und Fragmenten, die aus ihrem Zusammenhang gerissen wurden. So entsteht im Gegensatz zum Photorealismus keine Abbildlichkeit, sondern Poesis, das Geschaffene, wie es im Griechischen ursprünglich hieß.
In all dem Unterwegs sein und einem Lebensweg folgen, der prozesshaft und veränderlich ist, wird das Getriebensein des pragmatischen Alltags-Reagierens ausgebremst durch Erinnerung, durch unbewältigte Erfahrungen, durch vages Sehnen, durch Spürsamkeit oder aus dem Trott bringende Denkkonstrukte. Dies vermutete und erlebte Mehr des Lebens wird durch den Komplex der Poesie und die unscharfe Bildwelt der Flüchtigkeit vermittelbar.
Das zage Empfinden, die leichte Gänsehaut, der Widerspruch der Handlungen, die sanfte Irritation, die ironische Brechung, die kulturbeleckte Bezugnahme setzen das Deutungsspiel in Gang. Eigenständige Bildwelten entstehen, die nur Eingangspforten sind und das dicke Fell subversiv zu frischer Sensibilität ausdünnen. „Reisemäntel für Stoiker“ lassen da etwa poetische Freiheiten oder die Titelarbeit „Oberbau und Unterbau“ zieht gängige Begriffsformeln in Zweifel. Fesselnd anmutige Aufklärungsversuche eines schmunzelnd erweiterten Bildbegriffs. \
bis 5.11.
Dirk Schulte – „Oberbau und Unterbau“
KuKuK V.o.G./e.V. – Kunst und Kultur im Köpfchen
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