Von Dirk Tölke
Bis zu drei Monate lang arbeitet Marcin Owczarek täglich 12 bis 14 Stunden an seinen Digitalarrangements. Tausende Photographien aus seinem Fundus gehen durch seine Hände und sein Gedächtnis und werden in Skizzen positioniert und in ihrer Zuordnung ertüftelt. Inzwischen entstehen keine Papiercollagen mehr in diesem Entstehungsprozess, sondern alles findet am Computer unter Photoshopkontrolle statt.
Dabei lässt er nichts aus, sondern versucht sich ein vehement realistisches Bild vom Zustand der Welt inklusive gern verdrängter Tatbestände zu machen. Historisches, Gegenwärtiges und Zukünftiges klingt in seinen großformatigen, meist kleinteilig bevölkerten Szenarien an. Kulissenhafte Orte mit punktuellen Farbinseln kommen da in rauchigdüsterem Ambiente daher. Nur andeutungsweise in nostalgischem graublau-Sepia, eher endzeitlich durchgraut, ist man in von Industriebetrieben hinterfangenen Ruinenstätten und abblätternden Fassaden mit Bühnenräumen konfrontiert, in denen Zwitterwesen aus einer trostlos abgelebten Götterwelt und Tierschädeln hausen.
Karnevaleske Höflinge, barbiehafte Konsumwesen, archaisch-harsche Torso-Kämpfer und versteinerte Dinosaurier bevölkern die Szene. Passanten ziehen ihre Spur, als wäre es ein Freilichtmuseum. Ein mythischer Abgesang von enttäuscht entschlossener Unerbittlichkeit und an Müll und Geschichtsrelikte gewöhnter Gegenwart mit keiner günstigen Prophetie. Das korrekt gekleidete Personal in splendid isolation strahlt trotzige Vergeblichkeit aus, wirkt wehrhaft ohnmachtswund, ohne den Witz von Douglas Adams Restaurant am Ende der Welt. Historisch durchgehend scheint da das wahnhafte Gaukelspiel, in dem keine Täter zu erkennen sind. Ist es das, was an schriller Trümmerwelt zurückbleiben wird, wenn der „letzte Baum gefällt, das letzte Tier geschlachtet, das letzte Wasser getrunken ist“. Da ist und hat sichs ausgestorben, auch für die Schergen dieser Ausbeuterkultur.
Memento mori war gestern. Und doch, dies augefuchste Potpourri des melancholiefreien Niedergangs macht sichtbar, was zu befürchten steht, mit alteuropäischer Kultursymbolik, ganz ohne übliche ästhetische Dystopie-Anleihen à la: Maschinen übernehmen, Splatterzombies dezimieren, Big Brothers überwachen sich einen Wolf, Düsterclans geben die Despoten und gigerhafte Aliens nisten sich ein.
Das Vokabular ist erstaunlicherweise nicht einen Deut nerdig oder medienaffin. Eher triebfrei, dämlich und ehemals edel geht die Welt hier zugrunde. Eine aufwändig ästhetisierte und künstlerisch einwandfreie Mahnung. Ein solches „Paradise Lost“ war die düstere Vorarbeit der jetzigen Serie „Tales“ mit seiner Frau Katarzyna, in der Freiheiten denkbar sind. Vom vordem grandiosen Untergang in verletzlicher Brutalität, der in kleinteiliger Wahrnehmung von Bildwelten aller Zeiten bezogen auf Gegenwartsempfinden inszeniert ist und wenig Hoffnung auf irgendeinen Rest von Ehrfurcht vor der Schöpfung macht, wird in den neueren Arbeiten zeichenhaft reduzierter Fabel und antike Mythe bemüht.
Ein poetisches Possenspiel mit der Vertierlichung als Ausweg – in schöneren Gefilden. \
bis 26.1.
„Tales“ – Katarzyna & Marcin Owczarek
Artco Galerie
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