Biergärten und Parks sind wieder voll von Menschen, die das Ausgehen zelebrieren. Wer trifft sich wo und warum? Es wird erzählt, gewürfelt und getrunken. Die Stimmung ist gelöst. Hinter den Theken machen sich die Gastwirte ganz andere Gedanken. Hier ist die Zukunft präsent und die Auswirkungen von Corona noch spürbar.
Heiß ist es an diesem Freitag im August. Auch noch nach 19 Uhr sind es rund 30 Grad. Doch in der ersten angelaufenen Kneipe „Zum Adalbert“ sitzt Andreas und trägt seine Arbeitshose. Der Elektriker kam gleich nach seinem Dienst, so wie jeden Freitag. Gemeinsam mit seinem Kumpel Christian läutet er seit fünf Jahren – zumindest so wie es die Corona-Regeln erlaubten – mit frisch gezapften Pils das Wochenende ein. Auch Christians Freundin Paula ist diesmal dabei. Sie sitzen draußen auf leichten Korbstühlen an einem kleinen Klapptisch. Die Kneipe „Zum Adalbert“ liegt an der Kreuzung Adalbertsteinweg/Sedanstraße, ein Knotenpunkt im Ostviertel. Insgesamt 14 Ampeln lassen sich von den Außenplätzen aus überblicken. „Es ist immer was los“, sagt Christian. „Wir nennen es den Aachener Times Square. Hier ist einfach Leben.“ Zwischen den anderen Gästen fällt das Trio auf. Christian ist 30 Jahre alt, Paula 24 und Andreas 33. Im „Zum Adalbert“ sind die Gäste in der Regel deutlich älter. Den dreien ist das egal. Sie haben Würfel und Becher mitgebracht und sich eine grandiose Zeit vorgenommen. Weiter geht für den Klenkes Richtung Innenstadt. Und zwar mitten durch das Frankenberger Viertel.
Grandios soll auch der Abend für Emilia und ihre fünf Freundinnen und Freunde werden. „Wir wollen später feiern gehen“, sagt die 21-jährige Studentin gegen acht Uhr. Wo, da ist sich die Gruppe noch nicht sicher. Das stimmt hier aber niemanden nervös. Sie sitzen bequem auf einer Decke im Frankenberger Park und sie haben eine riesige drei Liter schwere Sektflasche mitgebracht, die noch gut gefüllt ist. Und sonst? Es riecht nach Cannabis auf der Wiese an der Burg. Die Nase führt zu einer weiteren fünfköpfigen Gruppe. Neben Gras gibt es auch hier Sekt, außerdem Bier und kalten Mate-Tee. Kneipen seien nicht so ihr Ding, erläutert die 19-jährige Lio. „Im Park ist es entspannter und deutlich günstiger.“ Mo ergänzt: „In Kneipen nerven die Macker.“
Offensichtlich gehen hier die Meinungen stark auseinander. Die Außenbereiche und die Kassen der zahlreichen Kneipen, Bars und Kioske füllen sich. Seit April dieses Jahres, seitdem es so gut wie keine einschränkenden Corona-Maßnahmen mehr gibt, laufen die Geschäfte besser. Laut dem Statistischen Bundesamt stieg der Umsatz in der Gastronomie im Mai 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 88 Prozent. Nach Luftsprüngen ist den meisten Gastronomen dennoch nicht zumute.
Auf dem Weg weiter durch die Stadt treffen wir auf Gastronomen, die sich über leere Plätze zwar nicht beschweren können, selbst aber kaum mehr in Feierstimmung kommen. „Wir sind ausgelaugt“, sagt Jörg Polzin. Der 55-Jährige betreibt drei Kneipen in der Promenadenstraße: „Sturmfrei“, „Die WG“ und „Kiez Kini“. Viel Zeit zu sprechen hat er nicht, Gäste warten auf ihre Getränke, der Chef ist gefordert. Er beschäftige gegenwärtig drei Mitarbeitende – für alle drei Kneipen. Vor der Pandemie seien es noch 15 gewesen. Das „Kiez Kini“ könne er momentan nur vermieten, „Die WG“ ist unter der Woche geschlossen.
Die Personalnot ist groß. Seine studentischen Aushilfskräfte hätten die zwei Pandemiejahre genutzt, um ihr Studium zu beenden, erläutert Polzin. Gleichzeitig seien wegen der Online-Vorlesungen lange Zeit keine neuen Studierenden nachgekommen.
Hinzu komme, „dass die Leute zögern, einen Job in der Gastronomie anzunehmen. Sie haben Angst, in zwei Monaten wieder auf der Straße zu stehen“. Das Problem betrifft die gesamte Branche. Eine im Juni durchgeführte Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) hat ergeben, dass bundesweit mehr als 60 Prozent der gastgewerblichen Betriebe Fach- und Hilfskräfte suchen.
Der Personalmangel ist das eine. Noch größere Sorgen bereiten vielen Gastronomen jedoch die Inflation, besonders die hochschnellenden Energiekosten. Polzin und seine Kolleginnen und Kollegen haben bereits oder werden noch ihre Preise erhöhen, und das, während die Gäste selbst immer mehr auf ihr Geld achten müssen.
„Ich gebe wegen der gestiegenen Preise mittlerweile weniger für Essen und Trinken aus“, sagt Marcel, der mit zwei Freunden in der Pontstraße abhängt. Sie trinken „Kioskbier“. Auf Aachens Partymeile gibt es am Freitagabend kaum ein Durchkommen. Diejenigen, die keinen Sitzplatz in einer der zahlreichen Kneipen gefunden haben, stehen so wie die drei auf der Straße. Es sind viele.
Von Sparsamkeit fehlt im Poststübchen am Kapuzinergraben am einzigen besetzten Tisch im Innenraum jede Spur. Sepp, Gerhard, Meggi, Klaus-Josef und Günther teilen sich um Viertel vor zehn zwei Bierdeckel: einmal 13, einmal acht Striche für Bier.
„Wir unterstützen die Brauereien“, sagt Sepp. Die Gruppe ist gut gelaunt. Auch sie sticht hervor. Meggi ist 71 Jahre alt, sie ist die jüngste. Die Gäste, die vor der geöffneten Tür stehen, sind wesentlich jünger. Die fünf kennen sich teilweise schon aus Jugendzeiten, sind gemeinsam zur Volksschule gegangen und treffen sich seit 40 Jahren jeden Freitag am Stammtisch, wie Günther stolz berichtet.
Sie sind laut Jimmy, wie der Inhaber der kleinen Kneipe genannt wird und werden will, eine Rarität. „Es gibt immer weniger Stammgäste“, sagt er. Viele hätten begonnen zu sparen. „Unter der Woche ist das gesamte Geschäft kaputt.“ Er habe die gestiegenen Kosten an seine Kunden weitergeben müssen. „Das kam nicht gut an.“ Heute ist er wie Polzin dauerbeschäftigt, für ihn ist Personal ebenfalls „ein Riesenthema“.
Der Schein trügt. Volle Terrassen und Sitzplätze wie in der Pontstraße, am Elisenbrunnen und am Markt retten die Gastronomie nicht. Dieter Becker, der das Restaurant „Zum goldenen Einhorn“ und das benachbarte Brauhaus „Goldener Schwan“ betreibt und stellvertretender Dehoga-Vorsitzender in Aachen ist, fasst zusammen: „Das Wasser steht uns immer noch bis zum Hals. Weil wir die Schulden der letzten zwei Jahre zu verwalten haben, weil die Umsätze noch nicht dort sind, wo sie vor Corona waren. Und weil jetzt noch die Auswirkungen des Ukraine-Krieges hinzukommen.“ Zudem sei die Sorge vor coronabedingten Einschränkungen im Herbst und Winter immer präsent. „Wir können auf keinen Fall neue Auflagen gebrauchen.“ Von der Kommunalpolitik fordert der 55-Jährige, „dass man den Gastronomen nicht noch Knüppel zwischen die Beine wirft“.
Wo führt das alles hin? „Die Menschen werden begreifen müssen, dass Gastronomie nicht umsonst zu haben ist. Es wird teurer werden, aber es ist es auch wert“, sagt Becker. Polzin prognostiziert: „So wie es aussieht, werden viele in Aachen aufhören. Irgendwann werden die Leute, die rausgehen wollen, nicht mehr die Möglichkeit dazu haben, weil keine Läden mehr da sind.“
Kaum vorstellbar an diesem proppenvollen Freitagabend in Aachen. Endlich ist wieder Bewegung in der Stadt. Es wäre schön, wenn das so bliebe. Im Sommer wie im Winter, in den Kneipen, den Bars, den Parks und der Innenstadt. Wir sind uns sicher, wäre das anders, wäre das nicht nur für Andreas, Christian und Paula dramatisch.
Bundesweit
In den rund 22.500 Kneipen und Schankwirtschaften in Deutschland arbeiten etwa 156.000 Menschen. Der Umsatz in der Gastronomie lag im ersten Quartal 2022 noch um 49 Prozent unter dem Umsatz im Vorkrisenjahr 2019. Die eröffneten Insolvenzverfahren in der Gastronomie sind während der Pandemiejahre gesunken. \
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