Was wurde bezüglich Tihange 2 erreicht, was erwartet uns 2017 und wie bereitet sich Herr Etschenberg auf den möglichen Supergau vor? Ein Rück- und Ausblick, der Mut macht.
Was wurde 2016 bezüglich Tihange alles erreicht?
Wir haben dieses Jahr die erste Klage vor dem Staatsrat, dem obersten Verwaltungsgericht in Brüssel eingereicht. Bei dieser Klage geht es um juristische Fragen: Ist die Wiederaufnahme von Tihange 2 korrekt – nach belgischem Recht – erfolgt?
Wir haben da große Zweifel und wir sind der Auffassung, dass belgische Rechtsnormen, die notwendig sind, nicht beachtet wurden und von daher die Betriebserlaubnis nicht rechtmäßig zustande gekommen ist.
Und Ihrer Klage haben sich viele weitere Kommunen angeschlossen.
Ja, es ist uns gelungen, dass inzwischen neben der StädteRegion mehr als 110 Kommunen aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, den Niederlanden und Luxemburg eine Klagegemeinschaft bilden. Außerdem haben wir erreicht, dass sich auch die Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz angeschlossen haben und mit uns diesen Klage-Weg gehen.
Wenn man das addiert, dann hat das juristische Vorgehen der StädteRegion gegen das belgische Atomkraftwerk eine sehr breite Plattform gefunden.
Woran arbeiten Sie gerade?
Wir haben in diesem Jahr eine weitere Klage vorbereitet: Hier geht es um die Betroffenheit. Sie wird beim Gericht Erster Instanz in Brüssel eingereicht, einem Zivilgericht. Dort müssen wir den Nachweis erbringen, dass derjenige, der klagt, betroffen ist. Den Betroffenheitsnachweis hätten wir eigentlich erst, wenn die Kiste hochgeggangen ist. Das ist naturgemäß nicht unser Ansinnen.
Wir wollen, das vorher die Sicherheitsmägel ausgeschlossen sind, die nach unserer Überzeugung nach wie vor da sind. Wir müssen dem Gericht gegenüber den Nachweis erbringen, dass wir sehr wohl Gründe haben, als Betroffene zu klagen. Weil real nachgewiesen ist, dass wir im Fall des Falles auch in Aachen in einem verseuchten Gebiet leben würden. Am 22. Dezember werden wir zusammen mit den Klägern die Klage in Brüssel einreichen.
Machen wir uns zurecht Sorgen?
Es sind eine Reihe von Sicherheitsproblemen da. Zum Beispiel: Die Kühlung. Das Wasser wird normalerweise mit zehn Grad Kühleffekt eingeführt. Bei einem Meiler wie Tihange 2 muss es auf 45 Grad aufgeheizt werden, weil eben sprödes Material und Risse vorhanden sind. Ist das nicht der Fall und das Wasser wird kälter eingeführt, dann besteht das Risiko eines Thermoschocks. Man kennt das, wenn man Tee aus einem Wasserglas getrunken hat und das Glas anschließend unter einen kalten Wasserstrahl hält – dann gibt es einen Sprung. Das ist die Angst, denn dadurch könnte Radioaktivität freigesetzt werden. Viele halten das für beherrschbar. Wir fragen, was passiert, wenn das mal nicht klappt? Man muss sich Sorgen machen.
Was raten Sie den Aachener Bürgern?
Eines ist mir wichtig: Wir wollen nicht, dass unsere Engagement im Sinne von Panikmache verstanden wird. Das wäre eine völlig falsche Botschaft. Wir wollen den Sorgen der Bevölkerung ein Gesicht geben und stellen diese stellvertretend vor. Und wir möchten, dass darauf angemessen reagiert wird. Nämlich mit der Abschaltung.
Wir sagen nicht: „Morgen fliegt das Ding in die Luft, Ihr müsst bunkern!“ Wir legen natürlich auch Wert auf die Unterstützung der Bevölkerung und da war die Aktion „Kicken gegen Tihange“ auf dem Tivoli mit 21.100 Besuchern ein tolles Signal. Im Juni ist eine Menschenkette geplant, auch das ist ein schönes Zeichen.
Welche Maßnahmen sind geplant?
Wir im Städteregionsrat arbeiten auch weiter aktiv an der Kathastrophenschutzplanung. Wir müssen Vorsorgen treffen. Das machen wir zusammen mit der federführenden Stadt Aachen, der StädteRegion, mit den Kreisen Düren und Euskirchen und Heinsberg – weil die Bevölkerungen dort in gleicher Weise betroffen sein würden. Zur Zeit sind wir dabei, eine – wie ich finde – sehr verständliche Infobroschüre aufzubereiten.
In dieser gibt es Aufklärungen zu den berühmten Jodtabletten, die wir jetzt vom Land NRW in erhöhter Anzahl bekommen haben, sodass wir diese auch dezentral ausliefern können. Gerade wird überlegt, ob sie über Apotheken verteilt werden können. Das sind aber noch Überlegungen. Wir haben außerdem das Land NRW gebeten, Atemschutzmasken für Kinder zu beschaffen. Wenn wir kurzfristig keine positive Antwort bekommen, gilt unser Beschluss soweit, dass wir die Masken selber beschaffen und bezahlen. Im Interesse der betroffenen Menschen.
Haben Sie sich in irgendeiner Weise persönlich auf einen möglichen Supergau vorbereitet?
Nein, das habe ich nicht. Ich werde mich an die Empfehlungen aus unserer Broschüre halten. Als Leiter des Kathastrophenstabs müsste ich eh vor Ort sein und Dinge regeln.
Was ist Ihr Ziel für 2017?
Ich bin Optimist und glaube, dass die reelle Chance besteht, dass Tihange 2 im Laufe des Jahres 2017 vom Netz gehen wird. Nicht auf juristischem Wege, sondern letztendlich durch eine politische Entscheidung in Belgien. Auch hier ist mir ein Appell wichtig: Wir in Deutschland wissen nicht besser Bescheid, wie man mit einem Atomkraftwerk umzugehen hat, sondern wir nehmen die Sorgen der Menschen auf.
Und das ist völlig unabhängig davon, ob das die Bevölkerung hier in Deutschland, den Niederlanden oder zunehmend auch die in Belgien ist. Auch die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgien hat in ihrem Parlament in Eupen im Dezember einstimmig beschlossen: Tihange 2 muss stillgelegt werden. Die Botschaft ist klar: Schafft die Sicherheitsprobleme ab, dann ist alles in Ordnung. Wären die Sicherheitsmaßnahmen erfüllt, wäre damit auch unsere Mission beendet.
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