Von Sebastian Dreher
Es gibt Ereignisse im Leben, die so eindrücklich sind, dass man danach eine völlig andere Sicht auf Dinge hat. Roshan Heiler hatte so ein Erlebnis, als sie in der Forschungsabteilung des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden arbeitete. „Dort bin ich das erste Mal mit dem Thema Menschenhandel in Berührung gekommen“, erinnert sich die 33-Jährige. „Von da an habe ich Obdachlose, Bettler und Prostituierte mit anderen Augen gesehen.“
Die theoretische Ebene, das Beobachten vom Schreibtisch aus, reichte der studierten Regionalwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Lateinamerika bald nicht mehr – sie wollte konkret helfen, wissen, was dahintersteckt. Also nahm sie eine Praktikumsstelle bei SOLWODI („Solidarity with Women in Distress“) in Duisburg an. „Meine Eltern und Freunde haben mich für verrückt erklärt, in so ein Metier zu wechseln, dazu noch unentgeltlich“, sagt sie. Doch bei der Hilfsorganisation fand sie genau das, wonach sie gesucht hat: direkten Kontakt zu den Betroffenen und unmittelbares Feedback auf ihre Arbeit.
Zur Normalität zurückfinden
„Ich habe mit Frauen zusammengewohnt, die aus der Zwangsprostitution gerettet worden sind.“ Dazu wurden die Betroffenen in geschützten Wohnungen untergebracht und rund um die Uhr betreut. Die Standorte der SOLWODI-Wohnungen müssen geheim gehalten werden, zu groß ist die Gefahr, dass Zuhälter und Menschenhändler die Frauen mit Gewalt zurückholen wollen. Bei ihren Betreuungen machte Heiler eine ganz intensive und erstaunliche Beobachtung: trotz der unfassbaren Leidensgeschichten konnten die Frauen in der Obhut doch wieder zu einer Normalität finden, wieder lachen, Kraft und Hoffnung schöpfen. „Ich habe in dieser Zeit einen großen Respekt vor der menschlichen Natur gelernt.“
Positive Erfahrungen
Ohne diese positiven Erfahrungen würde sie bei ihrer jetzigen Arbeit in Aachen angesichts des Elends und der Ungerechtigkeiten hin und wieder verzweifeln, wie sie gesteht. Etwa bei dem Fall im letzten April, als eine minderjährige Nigerianerin mit Mühe und Not vor ihren Peinigern flüchten konnte, die sie wie eine Sklavin gehalten hatten – die 17-Jährige konnte sich nicht mal mehr erinnern, wo sie gefangen gehalten wurde. Momentan ist das Mädchen in einer der geheimen Schutzwohnungen untergebracht.
Die Menschenhändler konnten bislang nicht ausfindig gemacht werden, aber die Ermittlungen dauern an.
Aufhören – Nein
So viel Leid, so viel Kriminalität – ob sie in den zweieinhalb Jahren, die sie bei „Stella“ ist, denn schon mal ans Aufhören gedacht hat? „Nein, nie“, antworten Heiler ohne zu zögern. „Im Gegenteil: je mehr ich erlebe, desto mehr möchte ich tun.“ ///
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