Von Martin Schwickert
„War Ihr Mann religiös? War er Kurde? War er politisch aktiv?“, so lauten die ersten Fragen des Kriminalbeamten an Katja Sekerci (Diane Kruger), deren Mann und kleiner Sohn gerade bei einem Nagelbombenanschlag ums Leben gekommen sind. Wenige Tage später steht die Kripo erneut mit einem Durchsuchungsbefehl vor der Tür und durchkämmt das Haus nach Drogen.
Was in Fatih Akins „Aus dem Nicht“ nur eine Viertelkinostunde in Anspruch nimmt, dauerte für die Angehörigen der Opfer der NSU-Morde mehrere Jahre. Jahre, in denen die Verstorbenen, deren Familien und Freunde nach kriminellen Verdachtsmomenten durchleuchtet wurden, weil die Ermittler ebenso wie die Presse die Täter alleine in der türkischen Gemeinde suchten und sich einen rechtsradikalen Hintergrund nicht vorstellen wollten. „Aus dem Nichts“ ist den Hinterbliebenen gewidmet, sucht den emotionalen Zugang und nicht die politische Analyse zu seinem Thema.
Vieles kommt dabei nicht vor: die Rolle des Verfassungsschutzes, die Hintergründe der Täter, die Reaktion der Medien. Reduktion ist der Schlüssel der Erzählung und nicht der Versuch, dem Sujet mit all seinen Facetten gerecht zu werden. Der erste Teil des Filmes zeigt den Verlustschmerz, an dem Katja zu zerbrechen droht.
Diane Kruger spielt das mit einer rohen Kraft, wie man sie bisher noch in keiner ihrer Rollen gesehen hat und wofür sie in Cannes mit dem Darstellerinnenpreis ausgezeichnet wurde. Als das Neonazi-Täterpaar gefasst wird, verwandelt sich ihr Trauergefühl zu einer Sehnsucht nach gerechter Bestrafung und der Film in ein klassisches Justizdrama, in dem die Emotionen der Betroffenen auf die Nüchternheit eines Gerichtsprozesses prallen.
Mit Aus dem Nichts“ findet Fatih Akin zu jenem starken, bedingungslos emotionalen Kino zurück, mit dem er einst durch Werke wie „Gegen die Wand“ oder „Auf der anderen Seite“ berühmt geworden ist. Man mag dem Film vorwerfen, dass er sein hochpolitisches Thema nicht tief genug auslotet. Aber Akin war nie ein kühler Gesellschaftsanalytiker, sondern ist ein Filmemacher, der für seine Figuren und das Genrekino brennt. Mit der blonden, blauäugigen Diane Kruger unterwandert er gezielt die Opferstereotypen und findet gleichzeitig eine Schauspielerin, die alle Facetten der Figur auf eine sehr bodenständige Weise verkörpert.
Ihr allein gehört der Film, der sich mit Haut und Haaren der Opferangehörigen-Perspektive verschreibt und seine Haltung mit großer Klarheit vertritt – ein Standpunkt, der sowohl im Kino als auch im gesellschaftlichen Diskurs seine notwendige Berechtigung hat. \
„Aus dem Nichts“
D/F 2017 // R: Fatih Akin
Start: 23.11. | 106 Minuten | FSK 16
Bewertung der redaktion
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