Marina und Patrick Jeskow sind eines dieser Paare, die bei Betreten des Raumes den Fahrradhelm nicht sofort absetzen. „Ökos“, mag der eine da schmunzeln, „Gutmenschen“ hallt es jedoch später über die Bühne. Diese hat Manfred Schneider im Grenzlandtheater als Klassenraum umfunktioniert, eine überdimensionale Schultafel dient als Kulisse, darauf die typischen Matheaufgaben und Übungssätze. Neben den Jeskows haben sich weitere junge Eltern versammelt, gemeinsam wartet man auf Lehrerin Müller, mit dem Ziel: Frau Müller muss weg! Denn: Die Halbjahreszeugnisse der vierten Klasse stehen an – wer hier patzt, dem bleibt das Gymnasium verwehrt.
Die Sorge um die Kinder ist von scheinheiliger Natur. Das eigene Kind auf der Real- oder gar Hauptschule? „Bei all den arabischen Schlägertypen?“, bangt Marina Jeskow. Dann Auftritt Müller, autoritär mit Dutt und Brille, Typ engagierte Grundschullehrerin. Als die besorgten Eltern nach Zierereien mit ihrem Misstrauensvotum herausplatzen, fällt die Pädagogin aus allen Wolken: Kerstin Westphal zeigt die Erschütterung Müllers nachfühlbar, erntet Szenenapplaus nach furioser Brandrede und rasendem Abgang („Ihr Sohn, Frau Jeskow, ist nicht unterfordert, er leidet unter ADS!“).
Das Stück von Lutz Hübner ist vordergründig auf Humor angelegt, entfaltet jedoch genauso stark die heuchlerische Sorge der Eltern um ihre Sprösslinge. Abitur – sonst nix! In Abwesenheit der Lehrerin Müller durchsuchen die feinen Erziehungsberechtigten ihre zurückgelassene Tasche und werden fündig: die Liste mit den Halbjahresnoten, allerdings besser als befürchtet. Hat man sich in Müller getäuscht?
Es ist allzu real, was sich da zwischen den sechs Protagonisten entwickelt; ein Klassenraum scheint die ideale Bühne zu sein für Spitzfindigkeiten, Wutausbrüche und Besorgnisse, die auf dem Rücken der nicht anwesenden Kinder ausgetragen werden. Stefan Kiefer und Natalie Forester geben dabei adäquat das Vorzeigepärchen, das alles weiß, nur nicht, wie es um das eigene Kind steht. Katharina Waldau in der Rolle der Katja Grabowski meint man auch zu kennen: Die Mutter eines Einser-Kandidaten hat Lehrerin Müller Blumen mitgebracht.
Das Stück zeigt in der Regie Harald Demmers Eltern, die zwischen Grundsätzen und zweckmäßiger Anpassung hin und her schwanken. Belehrt werden die Klassen-Kämpfer letztlich durch eine brillante Schlusspointe.
Robert Targan
1. bis 5.12.
„Frau Müller muss weg!“
20 Uhr, Grenzlandtheater
danach bis 16.12. externe Spielstätten
Karten gibt’s bei Klenkes Ticket
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