Von Sebastian Dreher
Ein unauffälliges, rot geklinkertes Einfamilienhaus in Herzogenrath-Kohlscheid, sieben Sternsingerzeichen zieren den Türrahmen und ein Schild erinnert den Besucher: „Hier sind Schwalben willkommen!“ Nicht unbedingt ein Haus, in dem man eine Fußballlegende vermuten würde. Heutzutage.
Doch Jupp Martinelli, der dort seit über 50 Jahren mit seiner Frau Erika wohnt, kommt aus einer anderen Zeit. 1951 fing er beim Aachener Turn- und Sportverein Alemannia 1900 e. V. an. Damals ging er noch zur Schule und war sich nicht sicher, ob er wirklich Fußballer werden wollte.
Fußball-Allrounder statt Leichtathlet
Seine andere Leidenschaft war nämlich die Leichtathletik: 1954 wurde er sogar deutscher Vizemeister. „Irgendwann meinte mein Trainer, ich müsse mich so langsam entscheiden.“ Und er hat sich entschieden – für den Fußball, wie man heute weiß.
Von 1954 bis 1970 spielte er für den TSV. Seine Position: überall. „Ich war ein Allrounder, selbst im Tor habe ich gespielt, wenn sich der Torwart verletzt hatte – Auswechselungen gab es damals noch nicht.“
Bei der Gründung übergangen
Die Alemannia spielte von 1967 bis 1970 in der ersten Bundesliga. Dass Aachen nicht von Anfang an, seit 1963, in der höchsten deutschen Spielklasse war, hatte eine Vorgeschichte. „Bei der Einführung wurden wir übergangen“, so Martinelli.
Der Vorsitzende des 1. FC Köln, der seinerzeit im Bundesligaausschuss saß, hätte die Aufnahme der Aachener verhindert, weil er die Schwarz-Gelben als Konkurrenz fürchtete. „Für mich die größte Ungerechtigkeit, die es in der deutschen Fußballgeschichte je gab.“
200.000 im Maracanã
Martinelli wurde mit seiner Mannschaft bereits 1968 Vizemeister – in der gerade mal zweiten Bundesligasaison. Im selben Jahr wurde der Kader zu einer Südamerika-Tour eingeladen. „Zur Erinnerung an die Südamerikareise der Alemannia 1968“, liest er von einem etwas in die Jahre gekommen Ball ab.
„Die Tour ging durch Brasilien, Paraguay, Uruguay und Argentinien.“ Höhepunkt war das Spiel im legendären Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro, das damals 200.000 Zuschauer fasste. „Überwältigend!“
Zehn Mark pro Spiel
Ganz so glamourös ging es in der Heimat nicht zu – Fußball wurde zu dieser Zeit nicht annähernd so gut bezahlt wie heute. Keiner der damaligen Spieler konnte seinen Lebensunterhalt durch den Sport bestreiten.
In den 50ern lag das Gehalt eines Fußballers zwischen 320 und 400 Mark. Die Teilnahme an einem Spiel brachte zehn Mark – „Aktivitätszulage“ nannte sich das. Jupp Martinelli ging nach dem Abi zur Aachener Stadtverwaltung, bei der er bis zu seiner Pensionierung blieb.
Schneller, nicht schöner
Die Unterschiede zum heutigen Fußball sieht er vor allem in der Schnelligkeit, der Athletik der Spieler. „Das sind durchtrainierte Vollprofis. Schöner ist das Spiel dadurch nicht geworden“, findet er.
Was dem alten Herrn besonders gegen den Strich geht, ist die Schauspielerei, die Schwalben, die Unehrlichkeit. Für einen wie Martinelli, der noch zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs am Kohlscheider „Kulleplein“ am Rande der Kohlegrube gebolzt hat, nicht nachzuvollziehen.
Tivoli-Dauergast
Das Fußballspielen hat er erst vor zwei Jahren drangegeben – mit 76 Jahren. Bis dahin spielte er in der Traditionsmannschaft der Alemannia. Heute fährt er Fahrrad, um fit zu bleiben. Aber so ganz lassen kann er es immer noch nicht: „Ich gehe noch immer zu jedem Heimspiel.“ \
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