Flackernde Bildschirme, wohin man schaut, Gesprächsfetzen wabern durch den Raum, sich überlagernde Alltagsgeräusche und Musik verwirren die Sinne. Zum Glück dauert diese Folter nur 60 Sekunden. „Wir nennen es die Chaos-Kammer“, erklärt Andreas Düspohl, Leiter des Internationalen Zeitungsmuseums. „Die Besucher werden hier einer medialen Reizüberflutung ausgesetzt, wie sie – in abgeschwächter Form – nicht selten in Großraumbüros oder Redaktionen herrscht.“
Die „Chaos-Kammer“ steht repräsentativ für den Ansatz, den die Verantwortlichen bei der Neukonzipierung der reichlich angestaubten Zeitungsausstellung umgesetzt haben. „Seit 1962 wurde an den Vitrinen quasi nichts geändert“, sagt Düspohl. „Alles war ausschließlich auf gedruckte Zeitungen ausgelegt.“ Mit der Wiedereröffnung wird die seit 1931 im „Großen Haus von Aachen“ beheimatete Ausstellung um die Dimensionen Hörfunk, Fernsehen, Mobilfunk und Internet erweitert. Als Station „Medien“ innerhalb der Route Charlemagne beschäftigt sich das IZM in weitgehend lückenloser Dreisprachigkeit mit den Grundfragen der modernen Mediengesellschaft. Die Einrichtung eines Seminar- und Workshopraums unterstreicht die didaktische Komponente des Projektes.
„Es war hilfreich, dass wir ein paar junge Praktikanten im Team hatten“, meint Düspohl. „Diese ‚Homo Zappiens‘ konnten uns einige hilfreiche Tipps zur aktuellen Web-Situation geben.“ Diesen Begriff hat der niederländische Universitätsprofessor Wim Veen in seinem Buch „Homo Zappiens: Growing Up in a Digital Age“ eingeführt. Er beschreibt junge Leute, die „Eingeborenen des Informationszeitalters“, die sich wie selbstverständlich zwischen Facebook und Twitter hin- und herbewegen.
Die Ausstellung beginnt zunächst jedoch bei den klassischen Instrumenten. Im ersten Raum wird die Entstehung einer Nachricht dokumentiert und ein Newsticker von der Deutschen Presse Agentur gezeigt. Ein Karteikasten enthält die Namen und Kurzbiografien der schillerndsten Persönlichkeiten der Branche. Raum Nummer zwei konzentriert sich auf die verschiedenen Massenmedien. Beginnend bei Gutenbergs Druckwerkstatt wird in Kurzfilmen und Grafiken der Weg vom Buch über die Zeitschrift bis zu Webzeitungen und Social Networks nachgezeichnet. Unter dem Titel „Lesen und Schreiben“ informiert der nächste Ausstellungsteil über die drei großen Medienrevolutionen: Entwicklung der Schrift, Buchdruck und Digitalisierung. Auf einer interaktiven Weltkarte können sich Besucher über die Zeitungskultur anderer Länder informieren. „Das Projekt ist in enger Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt entstanden“, sagt Düspohl. „Es war teilweise nicht einfach, an Zeitungsbeispiele aus Tadschikistan oder Nordkorea zu gelangen.“
Auch zu Themen wie Zensur und Manipulation haben sich Düspohl und seine Kollegen Gedanken gemacht. Unliebsame Textzeilen wurden in früheren, prä-digitalen Zeiten schon mal mit schwerem Gerät aus den Druckplatten gefräst. Eine einfachere Variante war es, einfach blanke Seiten zu drucken. Manipulation lässt sich vor allem bei der Bildberichterstattung nachweisen – teilweise erschreckend plump. „Schauen Sie sich mal Hochglanzmagazine an, wenn eine prominente Frau ein Kind bekommen hat“, sagt Düspohl. „Das Bild ist in jedem Blatt dasselbe, doch das Baby sieht immer anders aus.“ Das nachträgliche Reinretuschieren von Promi-Nachwuchs ist kein Vorgang mit weltpolitischer Relevanz. Anders dieser Fall: ein Foto von Lenin zeigt Leo Trotzki im Hintergrund, auf einer zweiten Version ist der in Ungnade gefallene Umstürzler entfernt. „Man darf nicht immer seinen Augen trauen“, meint Düspohl.
Entgegen der digitalen Lobhudelei liefert die Ausstellung letztendlich doch noch ein Argument für die gute alte Print-Zeitung: die Energiebilanz eines gedruckten Mediums sei erstaunlicherweise niedriger als die einer Online-Zeitung, so Düspohl. Zu hoch seien die Energiekosten für die monumentalen Serverparks der Unternehmen. Mit dieser Information im Rücken können sich die Besucher ganz altmodisch mit einer der 200.000 Zeitungen aus dem Archiv in den hauseigenen Lesesaal setzten und schmökern.
8.7.
Eröffnungsfeier IZM
19 Uhr, Aula Carolina
Internationales Zeitungsmuseum
Route Charlemagne
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