Jetzt wird eine Stunde lang gemeinsam gesungen, gebastelt und erzählt. Die Kita Boxgraben und das Haus Cadenbach des Luisenhospitals schaffen so eine Brücke der Generationen. Jung trifft Alt.
Lange Zeit teilten sich die Kindergartenkinder und Pflegeheimbewohner am Boxgraben 95 einen Garten. Nach dem Umzug der Kita sollte der gegenseitige Austausch bestehen bleiben. Seit April 2010 besuchen elf Kinder zwischen vier und sechs Jahren der Kita regelmäßig die älteren Bewohner des Hauses Cadenbach. Viele der zumeist in Rollstühlen sitzenden Frauen und Männer sind dement und befinden sich auf einer kindlich-mentalen Stufe. Mit ihrer Mimik und Gestik zeigen sie aber, wie wichtig ihnen die Treffen sind. Im Zwei-Wochentakt wird gemeinsam gesungen, gespielt und gebastelt. Für Hannelore Müller, Leiterin der Städtischen Tageseinrichtung am Boxgraben, bilden vor allem Rituale eine wichtige Basis der Begegnung von Jung und Alt: Jedes Kind hat seinen festen „Bewohnerpartner“, sodass eine intensive Beziehung aufgebaut werden kann. Des Weiteren beginnen und enden die Treffen stets mit den selben Liedern. „Inzwischen ist daraus ein Ritual entstanden, das beiden Partnern Sicherheit gibt.“
Trotz des enormen Altersunterschiedes besteht eine enge Verbindung zwischen den Kindern und ihrem Partner. Natürlich gab es anfängliche Berührungsängste bei den Jüngeren, aber Marion Rüger-Raue, Sozialpädagogin des Hauses Cadenbach, erinnert sich, dass die kleine Mila bei ihrer ersten Begegnung mit Frau Uhl überhaupt keine Furcht zeigte: „Sie hat sie direkt umarmt. Das war wirklich schön zu sehen.“ Hemmungen und Ängste ab- sowie Vertrauen aufbauen – das ist das Prinzip der Generationsbrücke.
Neben spielerischen Bewegungsübungen (Rüger-Raue: „Ihr seid jetzt ein Team!“) gibt es bei den Treffen häufig auch gemeinsame Malaktionen, bei denen etwa mit und für einander Sonnenblumen gemalt werden. Die Ergebnisse hängen die Kinder in einer Generationsbrücken-Ecke in ihrer Kitagruppe auf, während die Senioren mit den Bildern ihre Zimmer dekorieren.
In Amerika sind diese Generationsbrücken („Bessie’s Hope“) bereits fest etabliert und auch in Aachen findet das Konzept immer mehr Anklang. Nach einer sechswöchigen Hospitation in Denver brachte Horst Krumbach 2009 diese Idee mit nach Deutschland und leitet seither die Kooperation des Altenpflegeheims Marienheim in Brand mit der Kita St. Monika. Als Initiator informierte er auch die Eltern der Kitakinder am Boxgraben 99 und erhielt deren volle Unterstützung. Im Herbst letzten Jahres veranstalteten sie gemeinsam mit ihren Kindern einen ganz private St. Martinszug in den Räumen des Luisenhospitals.
„Dass die Kinder zu Hause viel über diese Begegnungen erzählen, zeigt uns, wie sehr sie dieses Thema beschäftigt.” Es gäbe zwar viele Kinderbücher, die über das Älterwerden oder den Tod informieren, Müller ist aber wichtig, dass Kinder persönlich in Kontakt mit älteren Menschen treten.
Um die Beziehungen zu intensivieren und auch die Lebensumstände des Anderen besser kennenzulernen, werden sich die Brückenpartner der Kita und des Hauses Cadenbach demnächst gegenseitig besuchen. Dann zeigen die Kitaenkel ihren Pflegeheimgroßeltern ihre Spielstätte. Im Anschluss sehen die Kinder dann das Zimmer ihres Partners.
Da zwei Kinder nach den Ferien zur Schule gehen, schenken sich die Teammitglieder am Ende des Vormittags gegenseitig ein Foto. Und auch Wilhelm Frantzen muss sich heute von seinem Partner Simon verabschieden. Der Fünfjährige wechselt den Kindergarten. „Die Kinder sind süß“, sagt Frantzen mit Tränen in den Augen. Rüger-Raue: „Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen.“
Zum Abschluss singen noch einmal alle miteinander und reichen sich die Hände: „Auf Wiedersehn, bleibt nicht so lange fort. Denn ohne euch, ist’s halb so schön.“
Kerstin Pape
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