Amor zieht die Strippen
Oper von Christoph Willibald Gluck
Die zeitlose Geschichte, die mehrfach vertont und verfilmt wurde, handelt von Orpheus, der um seine verstorbene Geliebte Eurydike trauert. Die Götter haben Mitleid und erlauben ihm, in den Hades zu steigen, um Eurydike wieder auf die Erde zu holen. Nur eine Bedingung stellen die Götter durch ihren Boten Amor: Orpheus darf Eurydike erst ansehen, wenn sie dem Hades entstiegen sind. Eurydikes Verzweiflung, dass ihr Geliebter sie nicht anschaut, ist so groß, dass Orpheus das Verbot bricht. Eurydike stirbt. In der Fassung von Glucks Librettisten de’ Calzabigi verzeiht Amor den Liebenden und lässt Eurydike doch wieder zum Leben erwachen.
Die ursprünglich zwei bzw. zweieinhalb Stunden dauernde Oper (Wiener oder Pariser Fassung) ist in Aachen auf eine Stunde zur Kammerfassung gekürzt worden; und intim, dem Zuschauer nah wie eine Kammeroper bringt Martin Philipp seine Inszenierung auf die Bühne. Orpheus beklagt den Verlust seiner Geliebten vor dem Eisernen Vorhang in greifbarer Nähe zum Publikum. Selbst als sich der Vorhang hebt und der Hades sich öffnet, wird die Intimität beibehalten, indem eine Bühne auf der Bühne platziert wird, die wie ein Schaukasten anmutet. Doch hier zeigt sich auch ein Riss im Konzept der Regie; denn die Ausstattung dieses Schaukastens führt den Betrachter direkt in die Zeit Glucks und der überbordenden, barocken Aufführungspraktiken zurück, während Beginn und Ende der Produktion eher eine existentialistische und reduzierte Ästhetik versprühen. Die klaren, schnörkellosen Bilder, die dabei entstehen, passen wenig zur Opulenz und — bewusst — übertriebenen Verspieltheit der Barockbühne. Dennoch ein riesiges Lob an Detlev Beaujean für sein Bühnenbild: Man fühlt sich unmittelbar um Jahrhunderte zurückversetzt und an Kulissen wie beispielsweise aus den Filmen Farinelli oder Vatel erinnert.
Trotzdem ist es nur schwer verständlich, warum sich Philipp nicht für die eine oder andere Variante entschieden hat und diesen merkwürdigen Mix auf die Bühne stellt, der noch akzentuiert wird durch den in schwarzen, schlichten Unisex-Uniformen auftretenden Chor. Sehr gelungen ist die Idee, Amor im sprichwörtlichen Sinne als Strippenzieher auftreten zu lassen, der mit zwei anrührend nackten, abgespielten Puppen das Verhalten der sich Liebenden vordiktiert.
Musikalisch ist der Abend ein wahrer Genuss. Volker Hiemeyer leitet das Sinfonieorchester Aachen sehr souverän und inspiriert durch die Partitur Glucks; selten hat man Gelegenheit, so animiertes Musizieren in der Barockmusik von einem nicht spezialisierten Ensemble zu hören. Annika van Dyck bewältigt die riesige Partie des Orpheus äußerst beeindruckend mit schöner tragender Stimme und einem angenehmen Timbre, auch wenn ihr Mezzosopran in den absoluten Tiefen der Partie etwas wenig Durchschlagskraft besitzt. Auch Zoe Nicolaidou überzeugt als Eurydike mit ihrem technisch versierten, schön klingenden, doch sehr dunkel timbrierten Sopran; man hätte sich für diese Partie eine etwas lieblichere Stimme gewünscht. Soo-Jin Park füllt die Rolle Amors mit übersprudelnder Spielfreude und fast knabenhaft anmutenden Sopran aus.
Tanja Sprungala
Foto: Carl Brunn
Termine:
29.5., 19.30 Uhr, Bühne
(weitere Termine im Juni)
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