Sie sind jung, sie sind Freunde und sie haben sich nach der Großmutter ihres Keyboarders benannt: Von Wegen Lisbeth. Das Quintett aus Berlin spielt handgemachten Indie-Pop-Rock, der ohne Umschweife ins Ohr geht.
Zum Einsatz kommen neben Rockgitarren auch Kinderinstrumente. Nachzuhören auf dem erfrischend ironischen Debütalbum „Grande“. Olaf Neumann trank mit Sänger Matze und Bassist Jules in Berlin eine Bionade.
Ihr Clip zu dem Song „Sushi“ wurde bei YouTube hundertausendfach aufgerufen. Kam damit der Erfolg?
Jules: Nein, wir machen schon eine Weile zusammen Musik. Anfangs ohne dass es jemand gefeiert hat. Aber mit der Zeit hat sich unsere Musik so verändert, dass uns immer mehr Leute hören wollten.
Matze: Anfangs konnten wir nichts. So klang auch unsere Musik. Aber es hat damals schon riesigen Spaß gemacht!
Neben der klassischen Gitarre-Schlagzeug-Bass-Besetzung verwenden Sie billige Kinderinstrumente. Steckt dahinter ein tieferer Sinn?
Jules: Uns wird nachgesagt, alles ironisch zu meinen. Aber wenn wir ein Glockenspiel benutzen, dann, weil es einfach geil klingt! Mit der Zeit haben wir immer mehr Trash zusammengekauft oder –geklaut. (lacht) Im Müll von der Deutschen Oper entdeckten wir irgendwann eine alte, kaputte Steel-Drum. Und die Sounds, die aus einem Casio-Keyboard rauskommen, das in den 80er Jahren eher für Kinder gebaut wurde, findet man auf keinem herkömmlichen Instrument. Der Casio ist der billigste Sampler, den man benutzen kann. Wir haben da zum Beispiel reingepfiffen oder den Klang einer Bierflasche gesampelt.
Mit Ihrem Debütalbum „Grande“ vollziehen Sie jetzt den Schritt vom Indie-Lager zur Musikindustrie. Wie kommen Sie mit der neuen Situation zurecht?
Jules: Uns war einfach nur wichtig, dieses Album zu machen. Wir wollten in einem guten Studio sein und ein Ergebnis erzielen, mit dem jeder von uns zufrieden ist. Dafür braucht mal relativ viel Geld. Aber dieses ganze Business-Ding war uns schon immer suspekt, eigentlich wollen wir nur Musik machen. Wenn die das bezahlen, ist das cool, aber dieser riesige Apparat, der jetzt hinter uns steckt, interessiert uns herzlich wenig. Davon kriegen wir derzeit auch kaum etwas mit.
Was wird jetzt besser für die Band?
Matze: An unserer Situation hat sich nur verändert, dass wir jetzt viel mehr Konzerte spielen als je zuvor. Das macht Spaß. Genau darum geht es ja.
Welche Kompromisse sind Sie bereit einzugehen?
Matze: Wir sind ziemlich kompromisslos. Uns war wichtig, dass wir nach wie vor möglichst viel Freiheit haben und selber entscheiden können, mit wem wir zusammenarbeiten wollen. Dass niemand von der Plattenfirma im Studio sitzt und uns reinredet. Andernfalls hätten wir überhaupt nichts unterschrieben. Würde da ein Standard-Pop-Produzent eingreifen, würde unsere Musik alles verlieren, worum es uns geht: die außergewöhnliche Instrumentierung, die anderen Texte, die andere Besetzung. Es wäre das Ende der Band.
Wie haben Sie die Vertragsunterzeichnung gefeiert?
Jules: Wir waren in unserer Stammkneipe auf ein gutes Bier für 1,40 Euro! Wir haben uns keinen Champagner gekauft, das ganze Geld ist für das Album draufgegangen. Für uns blieb da nicht viel übrig. Meine Brillantuhr habe ich für dieses Interview extra abgelegt, damit es nicht zu bissigen Fragen kommt.
Wie sind Sie an Ihr Debütalbum herangegangen?
Matze: Nach unserer EP wurde uns klar, dass wir uns vor einer Aufnahmesession viel mehr Gedanken darüber machen müssen, wie eine Platte eigentlich klingen soll. Für unser Album waren wir zwei Monate im Studio, aber wir hätten gerne noch mehr Zeit gehabt. Wir mussten aber fertig werden, weil eine Tour mit Element Of Crime anstand. Diese Jungs sind extrem nice, obwohl es ja krass alte Säcke sind! Die haben sich da vielleicht ein Pensum reingeballert: in 17 Tagen 15 Konzerte! Aber es war cool.
Wie hat Sie das Publikum von Element Of Crime aufgenommen?
Matze: Überraschend positiv! Wir dachten, als Vorband werden wir von der Bühne gemobbt, aber es kam ganz anders. Ich habe immer damit provoziert, dass wir noch nie vor so alten Leuten gespielt haben. Das sorgte im Publikum für Empörung. (lacht)
Früher flogen dafür schon mal Bierflaschen auf die Bühne. Punkbands wurden manchmal sogar angespuckt.
Matze: Man darf ja leider keine Flaschen mehr mit reinnehmen. Man darf auch nicht mehr rauchen. Man könnte vielleicht mit dem Feuerzeug werfen. Oder man spuckt zurück. Aber heute gibt es sogar bei winzigen Konzerten eine zwei Meter breite Barrikade. So ein Quatsch!
„I hope I die before I get old“ lautete vor 50 Jahren der Leitsatz von The Who. Stimmt diese Zeile mit Ihrem Lebensgefühl überein?
Jules: Ich glaube nicht. Es geht uns nicht darum, jetzt mit dem Hardcore-Rockstar-Lifestyle anzufangen, so dass wir in einem Jahr alle auf Heroin sind und sämtliche Konzerte absagen müssen. Wir machen einfach nur die spaßigste Sache der Welt: Musik schreiben und Konzerte spielen. So große Gedanken über Generationsbefindlichkeiten machen wir uns gar nicht. Schwer zu sagen, was meine Generation ist. Dafür müsste ich entweder mehr Abstand haben oder mich mehr da drin fühlen. Beides ist bei mir nicht der Fall. Matze schreibt auch keine Texte, die das Lebensgefühl einer Generation ausdrücken.
Matze: Heute ist es sehr schwer, etwas zu machen, was noch nie da gewesen ist. Die alten Sachen sind manchmal auch sehr geil. Früher lief bei mir immer Berliner Rundfunk 91.4. Die einzige Mucke, die ich wirklich höre, sind alte Sachen. Die neuen sind meistens ziemlich schlecht.
Jules: Ich steh auf Funk und Motown-Soul. Curtis Mayfield, Marvin Gaye, Police, Pink Floyd, The Doors. Ich gehöre zu der Generation, die nach sinnvoller Musik sucht. Aber auch Hip Hop-Acts wie NWA oder Tupac Shakur finde ich extrem gut.
Matze: Das Label Aggro Berlin hat uns genauso geprägt wie die Beatles.
Titel wie „Drüben bei Penny“, „14 Tage Testversion“ oder „Lang lebe die Störung“ klingen, als würden Sie aus Alltagssprüchen und Alltagssituationen Songs machen. Ist dem so?
Matze: Ja, das ist größtenteils auch so. Das sind alles Alltagserfahrungen, die man unbewusst aufschnappt. Die Grundidee ist meist autobiografisch, aber beim Ausarbeiten der Texte dichte ich vieles dazu. Es gab nicht die eine große Inspiration, die mich dazu bewogen hat, diesen oder jenen Text zu schreiben. Eigentlich kann ich gar nicht erklären, wie man einen Song schreibt. Es passiert einfach.
Jules: Eine Alltagssituation wie „Drüben bei Penny“ betrifft mehr Leute als irgendeine aufgebauschte Standard-Liebesgeschichte!
Ist „Der Untergang des Abendlandes“ ein ironischer Kommentar auf Pegida und AfD, die diese Floskel gern bemühen?
Matze: Das ist genauso gemeint. Der Song erklärt sich eigentlich von selber. Wir hatten Lust, etwas darüber zu sagen. Der Spruch „Der Untergang des Abendlandes“ hatte sich schon vor diesem Song in unserem Freundeskreis etabliert und fiel bei jeder noch so banalen Gelegenheit. Der Text war eigentlich schon fertig.
Konservative Werte erleben gerade eine Renaissance, auch bei jungen Menschen. Wie gehen Sie mit dieser Entwicklung um?
Matze: In unserem Freundeskreis kriegt man davon überhaupt nichts mit, sonst wären es ja nicht unsere Freunde. Aber ehemalige Mitschüler posten auf Facebook zum Teil flüchtlingsfeindliche Artikel. Da fragt man sich, was in deren Köpfen vor sich geht und fängt an nachzudenken.
Jules: Das deckt eine Nichtwillkommenskultur in Deutschland auf, die es wahrscheinlich schon immer gegeben hat, aber jetzt erst offensichtlich wird.
Matze: Auffällig ist, dass jeder dazu eine Meinung hat und diese auch ausspricht. Auf einmal traut man sich zu sagen, ich will Boateng als meinen Nachbarn haben – oder nicht. Vielleicht hat man sich das vor fünf Jahren noch nicht getraut.
Vertragen sich Pop und Politik?
Matze: Natürlich machen wir Popmusik, aber es schließt sich nicht aus, dass wir auch mal eine Meinung vertreten. Es ist ein bisschen schade, dass das aktuell die wenigsten Bands machen.
Jules: Besonders bei einem lustig-traurigen Thema wie Pegida. Klar muss man die ernst nehmen, aber Formulierungen wie „Der Untergang des Abendlandes“, „Lügenpresse“ und „Gutmenschen“ bekommen etwas Abstrakt-Lustiges, wenn man sie in einem Liedtext verarbeitet. Was soll das sein: der Untergang des Abendlandes?
Matze: Wenn sie sich schon mit der deutschen Sprache so viel Mühe geben, sollten die ganzen AfD-Leute vielleicht lieber Musik machen. Das wäre mir jedenfalls tausendmal lieber.
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