von Dirk Tölke
Das der „Plattform Aachen“ folgende Forschungsprojekt des Ludwig Forums „Die Erfindung der Neuen Wilden“ wählte Wandbilder aus, die zwischen 1978 und 1983 entstanden sind und zu überwiegenden Teilen überstrichen, weggeätzt, verblichen oder überwuchert sind.
Der Titel „Optische Schreie“ folgt der Selbstbeschreibung von Paier für seine Arbeiten, zu denen der vormals anonyme „Aachener Wandmaler“ seit 1989 öffentlich stand. Auf fast reuige Initiative des ehemaligen OBs Kurt Malangré stehen drei Arbeiten unter Denkmalschutz (2011 Café Kittel, 2014 Augustinerbach 12 und 2015 „Der großer Krieg“ vorm Café Kittel).
Die beiden letzteren wurden erst kürzlich respektlos geschädigt. Tribut dafür, dass die Künstler nicht in ein Museum strebten, sondern als Gegenöffentlichkeit in die bis heute bürokratisch kontrollierten öffentlichen Räume, in der sich nur Werbung und bezahlte Propaganda breitmachen darf und zu einer Mentalität des Wegsehens geführt hat.
Als eigenmächtige Malerei auf verwitterten Mauern – im Gegensatz zu den gelenken Figuren des Züricher Sprayers Harald auf Beton als Aggression gegen Monokulturarchitektur – sind die Orte gezielt ausgesucht, die Zeichnungen geplant vorbereitet und von Hand in einer Nacht mit dem Pinsel vorgezeichnet und in der nächsten Nacht farbig ausgemalt worden. 1986, zwei Jahre nach einer Ausstellung in der Galerie Ludwig, bei der 58 Fotos der Arbeiten für die Sammlung erworben wurden, malte Klaus Paier in den Kammerspielen des Stadttheater einen Raum zu Ibsens Gespenstern aus.
Die Gespenster seiner Generation brachte er auf die Straße: Angst, Faschismus, Gewalt, Ausbeutung, Behandlung von Nervenkranken, der Umgang mit Homosexualität, Verkehr, Ökologie und Hausbesetzung, die sich im Wandbild David und Goliath in der Kapelle des Höver-Hauses 1981 niederschlug. In kantiger Lineatur, die Picasso, Feininger, Schiele, expressionistisches und kubistisches Vokabular aufgreift, sind teils überlagerte Linien trapezoid verschränkt, Gliedmaßen vergrößert, Gebärden sadistisch oder gequält verzerrt und ungeheuer treffend reduziert.
Der jüngere Stöhr wendet sich in weichen Linien gegen Stress und Werbung und plädiert für Fahrradkultur und offene Sexualität. Graffiti ist das nicht. Auch Keith Haring mit seiner gleichbleibenden Strichdicke ist kein Sprayer. Die Muralisten stehen ihnen Pate. Es geht nicht um dämliche Revierkämpfe, um Tags und Existenzbekundungen, sondern um Politik und Gesellschaftsrelevanz von Kunst in einem höchst markanten Stil, der bewahrenswerte Bilder und Dokumente hervorgebracht hat – einprägsamer und weniger unbewusst als Werbung. Zumindest entstand auf kaum mehr zu schädigenden Bruchwänden aus „Sachbeschädigung“ Debattenkultur.
In Köln schuf er Auftragsarbeiten und Mauerbilder zum Thema „Afrika brennt“ gegen die Apartheid. Er blieb unverwechselbar und wichtigster politische Zeichen setzender Wandmaler. Die Dispersionsfarbe beschleunigte den Verfall der nicht auf Musealisierung angelegten Werke. Gut, dass er durch Proffessor Becker wahrgenommen wurde und in eigenen und fremden Fotos, besonders der Familie Weinkauf, überliefert wird. Möge der Nachlass weiterwirken. \
bis 1.10. „Optische Schreie – Der Aachener Wandmaler Klaus Paier“, Ludwig Forum für Internationale Kunst
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