Obwohl diese Auswahl das Werk enorm verkürzt, vermag sie Anne Franks Lebenssituation eindrucksvoll zu vermitteln: die Enge, das immer wieder aufkommende Gefühl der Bedrohung, die Panik, die Hoffnungslosigkeit und immer wieder dazwischen Annes Unbekümmertheit und Lebensfreude.
Im Mittelpunkt steht die Sopranistin Panagiota Sofroniadou als Anne Frank. Sie spielt Anne Frank mit solcher Präsenz, dass man meint, einer Jugendlichen zuzusehen. Wenn Sofroniadou die Tagebucheintragungen singt, schaut sie das Publikum an, als wäre es das Tagebuch, mit dem sie redet. So entsteht ein sehr enger Kontakt. Und wenn sie Ängsten, Träumen oder Fantasien nachhängt, dann ist es, als lehne sich Anne überwältigt von ihren Gedanken zurück und unterbräche ihr Gespräch mit „Kitty“, wie sie das Tagebuch nennt.
Der Gesang ist nicht melodiös, aber nie künstlich, oft der Sprachmelodie angelehnt, immer im Gefühlsausdruck fühlbar. Einmal, als Anne sich verzweifelt nach ihrer Freundin Lies sehnt und hofft, sie werde zurückkommen, steigert sich die Erregung ihres Singens, bis er in einen Schrei mündet. Die Szene endet, indem sie panisch gesprochen zu Gott betet, Lies möge zurückkommen. Ein behutsam zögerndes Zwischenspiel gibt ihr dann Raum, um aus dem verzweifelten Verstummen wieder zu sich zu finden.
Musikalischer Text
Manchmal werden die Wörter durch die Melodieführung so gedehnt, dass sie enorm an Ausdruck und Ernst gewinnen: „Dann denke ich … an das Wunderbare, (…), das auf der Welt existiert. Denn allen Menschen bleibt stets das Schöne erhalten: Die Natur, die Sonne, die Freiheit.“ Diese knappen, schlichten Worte werden in dem sich allmählich steigenden Gesang von Sofroniadou zu einer Hymne an das Leben, ernst und überschwänglich. Der Sopranistin gelingt es bewegend, Anne Franks ungebrochene Lebenskraft in ihrer unerträglichen Lebenssituation in den Vordergrund zu stellen.
Auch die Musiker sind hervorragend. Karl Shymanowitz leitet am Klavier das Ensemble. Bei allen dissonanten und oft düsteren Klängen ist sein Spiel meist sehr rhythmisch und ausdrucksstark. Er untermalt den Gesang einfühlsam. Wie manche seiner Motive oder langen Melodiebögen so lässt auch das Schlagzeug (Josef Nießen) oft an Schostakowitsch denken, vor allem der Gebrauch der Trommel: Ihre mechanisch exakte Kälte wirkt als tödliche Bedrohung. Der Kontrabass (Jorge Letra) steigert oft die Düsterkeit, wenn die Angst überhand nimmt.
Während die ersten fünf Szenen, in denen die Franks noch in Freiheit lebten, im Vordergrund der Bühne gespielt werden, wechselt Anne dann in ihr Versteck: Es ist ein höher gelegener bunkerähnlicher Raum, der perspektivisch verzerrt ist. Vorne kann Anne noch aufrecht stehen, nach hinten hin wird er niedriger und schmaler. Das Ensemble erhielt begeisterten Applaus. \hj
Tickets gibt es im KlenkesTicket im Kapuziner Karree.
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