Von Richard Mariaux
Die französische Nachkriegsliteratur unterscheidet sich von der deutschen. Die deutsche Literatur hatte nie einen zentralen Ort wie Paris, ihr fehlt das Exzentrische, das Radikale, das Gesellige, das Virtuose, das nur entsteht, wenn Literaten über Jahrhunderte auf wenigen weltberühmten Quadratkilometern koexistieren. Allein die komplizierten Liebesverhältnisse, die sich aus diesem Umstand ergeben, haben die französische Literatur tief geprägt. Hinzu kommt die hochentwickelte Kultur des Gesprächs, der Intrige und der Konversation, wie sie in den Salons und den Cafés von Paris entwickelt wurde. Die deutsche Literatur ist nicht schlechter, aber anders, langsamer, behäbiger, häufig auch provinzieller im besten Sinn“, erklärt Iris Radisch.
Es ist ein überaus kundiges Sachbuch, und es liest sich flüssig und bereitet großen Lesespaß. Radischs Sprache ist unterhaltsam, manchmal ironisch und sie schlägt mit Leichtigkeit den großen Bogen von Sartre und Camus – Iris Radischs Lieblingsautor – zu Françoise Sagan, Marguerite Duras und Alain Robbe-Grillet bis hin zur aktuellen Autorinnen und Autoren wie Marie Ndiaye, Yasmina Reza und Michel Houellebecq.
Die Aufbruchsstimmung und die Euphorie direkt nach dem Krieg verlieren sich in den beginnenden 50-er Jahren. Radisch schreibt: „Keine Höhen, keine Tiefen – das war das Lebensgefühl der Jahre, die auf die Sartre-Euphorie folgten. Während das gaullistische Frankreich alles unternahm, um wieder „groß“ und „tief“ zu sein, gab sich die neueste Literatur asketisch und gefühlskalt, als könne sie die Flucht der Nation in die Neograndeur mit ihren strengen Exerzitien vereiteln.“
Auf den Existentialismus folgt der „Nouveau Roman“, die frankophonen Autoren aus den ehemaligen Kolonien und Übersee-Departements melden sich zu Wort: Der Algerier Kamel Daoud schreibt Camus’ „Der Fremde“ mit „Der Fall Meursault“ fort und gibt dem namenlos ermordeten Araber einen Namen. Der auf Mauritius lebende Le Clézio erhält den Literatur-Nobelpreis. Die maßgeblichen Epochen blättern sich lebendig durch das Buch.
Und noch etwas unterscheidet die tägliche Arbeit der Autoren beider Länder: Viele der schreibenden Franzosen arbeiten als Lektoren in angesehenen oder neuen avantgardistisch ausgerichteten Verlagen. „Die französischen Autoren machen selber Literaturpolitik, sie beherrschen nach Sartres Vorbild die Massenmedien, statt von ihnen beherrscht zu werden. Auch deswegen werden in Frankreich so gute Bücher verlegt.“ \
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